Dunkles Afrika

Andreas Kirchgäßner - "Zeitverlust"

von Frank Becker

Dunkles Afrika
 
Mit „Zeitverlust“, einem außergewöhnlichen, mystischen Buch legt der Journalist, Autor und Afrika-Reisende Andreas Kirchgäßner seinen ersten Roman vor. Wer Afrika nicht kennt, wird durch die Lektüre in eine für Europäer beklemmende Alltäglichkeit des Schwarzen Kontinents gestoßen, eine Welt zwischen Magie und Materialismus, in der das Gelächter der Afrikaner in den Ohren der Fremden nach Spott und Hohn klingt – und es auch ist.
 
Der Deutsche Marc Gruner und seine Freundin Maren begeben sich von Hamburg aus mit einem Campingbus auf die Reise nach Westafrika, um in Ghana den Dagomba Thomas Bukari zu treffen. Sie wollen ihm ein Dokument aus dem Afrika-Archiv von Gruners Vater bringen, das den Beweis für seine Berechtigung enthält, Tendana (geistiger Führer) seines Landstrichs zu sein. Die Reise und die Suche nach Bukari werden zum quälenden Fiebertraum, zum sich ständig erhöhenden Alpdruck, der Marc und Maren über die Grenzen ihrer Existenz hinaus und in eine andere Realität führt.
Die Reisenden – uneins über Ziel und Sinn – werden mit Haß und Gewalttätigkeit und mit einer Kultur von Fetischismus und Aberglaube konfrontiert, der sie hilflos gegenüber stehen. Sie verstricken sich in emotionale Beziehungen mit Menschen, die ihnen dort begegnen, werden belogen, ausgenutzt, bestohlen und einander entfremdet. Marc erliegt der erotischen Anziehung der schönen Burkinabé Abi und erntet Gelächter, Maren verfällt dem archaischen Sexus des Fulani Mamahdou. Und alle sind in der unheimlichen Gewalt des „Seelenfressers“ Ousmane.
Sie versinken in einem Strudel von Verführung und Lüge, Malaria-Alptraum, Gewalt, Intrige und Machtkampf zwischen Stämmen. Christlicher Kinderglaube und Rituale afrikanischer Naturreligion, Kolonialgeschichte und der aus der Stammes-Blutrache entstandene Perlhuhn-Krieg vermischen sich vor dem Hintergrund alter Schuld zu einem immer bedrohlicheren Szenario, das in grauenhaften Blutrausch und für die Deutschen nach Identitäts- und Selbstwertverlust in Hoffnungslosigkeit und Trennung mündet.
 
Man merkt es schon sehr bald: als unbedarfter Leser wird man Afrika nie verstehen. Zeit wird unter veränderten Lebensbedingungen relativ, ihr Verlust mißt sich nicht mehr am Zifferblatt einer defekten Uhr. Andreas Kirchgäßners Bild wirkt bei aller scheinbaren Unwirklichkeit nicht überzeichnet, vergleicht man es mit tagesaktuellen Nachrichtenmeldungen über Revolutionen, Stammeskriege, Korruption und unvorstellbare Grausamkeiten in Schwarzafrika.
„Zeitverlust“ ist ein verstörendes Buch, seine Lektüre ein Gewinn. Eine Empfehlung der Musenblätter und mit unserem Prädikat ausgezeichnet, dem Musenkuß.
 
Andreas Kirchgäßner – „Zeitverlust“
Roman
2002/2007 demand Verlag, 183 Seiten, Pb. - ISBN 3-935093-07-1
15,- €
Weitere Informationen unter: www.demand-verlag.de - www.andreas-kirchgaessner.de