Die Bettdecke

von Hanns Dieter Hüsch

© André Poloczek - Archiv Musenblätter
Die Bettdecke
 
Was ich Ihnen jetzt sage, muß ziemlich unter uns bleiben, sonst wäre es unziemlich. Meine Frau und ich, wir tragen immer einen besonderen Sport aus, ohne Medaillen und ohne nationalen Ehrgeiz. Wir haben auch keine Mannschaft, gehören auch keiner an, aber wir haben eine Bettdecke. Das heißt, ich muß es besser betonen: Wir haben nur eine Bettdecke! Der Ton liegt auf eine, und das ist der Haken oder auch nicht, denn wir haben uns ja mehr oder weniger versprochen, in guten wie in schlechten Zeiten, wie gesagt, also nicht voneinander zu lassen, auch wenn’s stürmt, hagelt oder schneit. Oder haben wir uns versprochen? Ja, das sind so kleine Widerhaken im Leben, bis daß der Tod euch die Bettdecke wegzieht. Und deshalb haben auch viele, vielmehr sogar die meisten, das weiß ich jetzt nicht so genau, zwei Bettdecken und brauchen deshalb nicht jedesmal alles hin und her zu ziehen. Wenn ich nachts wach werde und feststelle, daß ich bloß gestört worden bin, weil meine Frau, ohne Absicht natürlich, sich im Schlaf rumgedreht und gleich die ganze Bettdecke mitgerissen hat, gehe ich ganz vorsichtig und langsam zu ihr hin und ziehe mir meinen Teil Zentimeter für Zentimeter wieder zurück. Manchmal klappt’s, manchmal nicht. Ich bin der Gefährlichere von uns beiden, weil ich nicht auf dem Rücken schlafe. »Versuch’s doch mal«, sagt meine Frau schon seit einem Jahrzehnt, »versuch’s doch mal.« Ich lehne ab. Ich schlafe mal auf der einen Seite und dann wieder auf der anderen. Und dann reiße ich schon mal alles an mich, so wie man manchmal den ganzen rohen Schinken mit einem Biß von der Brötchenhälfte runterzieht. Ohne Absicht natürlich, im Schlaf, und dann holt sich meine Frau wieder alles zurück. Manchmal murmelt sie dabei etwas völlig Unverständliches und schläft mit der Nasenspitze nach oben weiter. Wenn ich nachts spät nach  Hause komme, von der Arbeit natürlich, dann mache ich oft kein Licht an und versuche mich im Dunkeln zurechtzufinden. Dabei setze ich meistens meine Brille ab. Nachts sehe ich ohne Brille doppelt so gut, und dann gehe ich ganz vorsichtig zu Bett oder nach Bett, wie der Niederrheiner sagt, damit sie nicht wach wird, und dann suche ich erst mal die entsprechende Ecke von der Bettdecke, an der ich dann ganz langsam ziehe, damit ich auch was von ihr habe. Meistens geht es schief. Sie wird wach und sagt: »Nimm mir nicht alles von der Bettdecke weg.« »Nein«, sage ich, »nur die Hälfte.« Nun werden Sie sicher denken, warum haben die sich nicht schon längst zwei Bettdecken gekauft, für jeden eine. Das ist richtig. Rational o. k. Aber emotional möchten wir doch manchmal ganz gern und ganz schnell wissen, ob der andere noch da ist. Das Gefühl kennen Sie sicher, es sei denn: Sie schlafen getrennt, weil einer von beiden zu stark schnarcht! Aber das ist eine andere Geschichte.



© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Es kommt immer was dazwischen" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung