Reihenfolge

von Hanns Dieter Hüsch

© André Poloczek - Archiv Musenblätter
Reihenfolge
 
Ziehen Sie auch manchmal Ihre Schuhe vor Ihrer langen Hose an? Ich wende mich jetzt hauptsächlich an uns Männer! Ich weiß gar nicht, ob ich einfach so pauschal »uns Männer« sagen darf. Denn es werden ja immer ein paar Männer da sein, die sofort aufspringen und sagen: »Ich gehöre nicht dazu! Ich ziehe meine Schuhe immer erst an, wenn ich die Hose - die lange - schon lange anhabe! Das wäre ja noch schöner als schön, wenn ich die Reihenfolge nicht mehr wüßte! Ich bin ja kein seniler Greis!« Das ist richtig! Denn um die Reihenfolge geht es schließlich! Und da mache ich oft den zweiten Schritt vor dem ersten Schritt, weil ich mit meinen Gedanken schon beim dritten Schritt bin. Und so kommt alles durcheinander! Weil ich schon bei der einen Sache an die andere Sache denke, steht die ganze Reihenfolge auf dem Kopf. Obwohl ich mir zehn Sekunden zuvor gesagt habe: »Du mußt die Hose zuerst anziehen und dann die Schuhe«, habe ich auf einmal wie automatisch die Schuhe an, ohne die Hose vorher angezogen zu haben. Und ich kann dann die lange Hose nicht über die Schuhe anziehen. Dafür ist die viel zu eng! Also muß ich die Schuhe wieder ausziehen! Mache ich auch meistens! Was bleibt mir anderes übrig? Obwohl mich das manchmal so ärgert, daß ich am liebsten alles wieder ausziehen und einfach wieder ins Bett gehen möchte! Aber solche Kleinigkeiten halten mich wach! Ich denke immer an alles Mögliche auf einmal und bin daher immer meiner Zeit voraus! Ich mache einen Brief zu, Marke drauf, bin in Gedanken schon auf dem Weg zum Briefkasten, gehe im Geiste die Leerungszeiten durch, da sehe ich, daß ich eine wichtige Notiz nicht in den Brief getan habe, die ich mir extra zurechtgelegt hatte, damit ich nicht vergesse, sie mit in den Brief zu tun! Pusteblume! Der Brief ist zu und die Notiz nicht drin! Dann reiße ich vor lauter Wut über mich selbst den Brief in tausend Fetzen, weil ich alles noch einmal machen muß! Manche halten den Brief über Wasserdampf. Ich nicht! Ich bin der wütende Greis, der nicht mehr funktioniert! Und kann mich nicht beruhigen! Also bei den Schuhen vor der Hose, da sage ich mir immer; »Da zieht man sich eben noch mal von vorne an!« Aber wenn man einen Brief zumacht, ohne die wichtigste Nachricht mit hineinzutun, das halte ich dann schon für einen Pflegefall! Ich habe sogar schon mal Briefe zugeklebt, in denen überhaupt nichts drin war! Da war ich wohl wieder mit meinen Gedanken in der Arktis! Jedenfalls, ich klebe die Marke drauf, nachdem ich den Umschlag, mit Tesa-Streifen verstärkt, zugeklebt habe, und sehe, daß der Brief mit seinen vier Seiten noch auf dem Tisch liegt, als wolle er einfach nicht verschickt werden! Das sind Sekunden, sage ich Ihnen, in denen ich mich schon nicht mehr unter den Lebenden wähne und wo ich mir sofort sage: »Jetzt sollen mal die Jungen, jetzt sollen doch mal die Jungen ran! Mal sehen, wann die die Schuhe vor der Hose anziehen!



© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Es kommt immer was dazwischen" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung