Putin zum Fürchten

Masha Gessen – „Der Mann ohne Gesicht“

von Frank Becker
Putin zum Fürchten
 
Alexander Litwinenko - Sergej Juschenkow - Anna Politkowskaja - Juri Schtschekotschichin - Marina Litwinowitsch - Anatoli Sobtschak - erschossen, vergiftet, totgeschlagen. Kritische Köpfe, die es wagten, an der Richtigkeit der Politik des russischen Präsidenten Wladimir Wladimirowitsch Putin (den Deutschlands Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder ja für einen lupenreinen Demokraten hält) zu zweifeln und ihre Meinung öffentlich zu machen. Und das sind nur einige Namen, die für weltweites Aufsehen gesorgt haben. Die Geiseldramen der Schule von Beslan und im Moskauer Theater – die fatalen Bombenanschläge auf Moskauer Wohnhäuser, alle mit Hunderten von kalkulierten Todesopfern bei Geiseln und Tätern – Terror, Namen und Ereignisse, die unmittelbar mit der rücksichtslosen Machtpolitik des brutalen Technokraten und Ex-KGB-Residenten Putin und seines von der KGB-Nachfolge-Organisation FSB und der als „Sonderpolizei“ firmierenden Miliz-Einheit OMON gestützten neo-sowjetischen Unterdrückungsapparates zusammenhängen.         
 
Kapitel für Kapitel überläuft den Leser bei der Lektüre von Masha Gessens Enthüllungs-Biografie über Rußlands Präsidenten Wladimir Putin eine Gänsehaut. Da werden einem beim Lesen die Hände klamm, so erschreckend ist das Bild, das Gessen von Rußlands neuem Zaren zeichnet, der - glaubhaft beschrieben - kälter als Iwan der Schreckliche und brutaler als jeder russische Diktator seit Josef Stalin ist. Putin hat die Strukturen und Machtverhältnisse im mit 17.098.240 km² flächenmäßig größten Staat der Erde und seinen 142.905.200 Einwohnern unter dem Deckmantel der Demokratie (gleich zu Beginn ist seine Freundschaft mit dem damaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder entstanden) so erschreckend zielgerichtet mit Terror und Intrigen in seiner – und nur seiner – Hand gebündelt, daß heute die von Michail Gorbatschow und Boris Jelzin eingeleiteten Reformen und Demokratiebestrebungen völlig ausgehebelt sind. Putin hat sich die absolute Kontrolle über die Medien verschafft (hat er dabei logistische Unterstützung aus Italien bekommen?). Er läßt eine treue Garde von willfährigen Ja-Sagern der Medien um sich zu und eine dünne Oberschicht von Betrügern, Waffenhändlern etc. unermeßlich reich werden - solange sie ihm bedingungslos folgen. Jeder Widerspruch endet im Krankenhaus, der Leichenhalle oder im Gefängnis, wie beiden am Anfang genannten Kritikern oder im Fall des einst mächtige Wirtschafts- und Medien-„Oligarchen“ Michail Chodorkowski. Die Vielzahl an Namen, Funktionen und Konstellationen innerhalb der russischen Politik nach 1990, die Masha Gessen auch über die Leser ihres Buches ausgießt, ist zum Teil  verwirrend und wirkt wenig durchsichtig. Doch genauso verhielt es sich in den zehn Jahren des Umbruchs bis zu Putins Aufstieg zu Präsidenten wohl. Alte Sowjet-Kader, Karrieristen, Verbrecher und Intriganten versuchten, das Land unter sich aufzuteilen. Putin als kühler Analyst und knallharter Aktionist wie eine Spinne in ihrem Netz mittendrin.
 
In einer ganz offensichtlich und ohne jeden Skrupel gefälschten Wahl, die faktisch nicht mehr als eine Farce mit gefälschten Wahllisten und vorab gefüllten Wahlurnen war, wurde Wladimir Putin am 1. März 2012 mit mehr als 62 % der Stimmen“ wieder zum Präsidenten Russlands „gewählt“. Konkurrenten und Opposition wurden mit allen nur einer Diktatur zur Verfügung stehenden Mitteln behindert, ausgeschaltet, eingesperrt und bedroht. In den Jahren seiner Herrschaft – von 2000-2008 erst als Präsident, nach seiner verfassungsmäßigen Abwahl im Tausch mit seiner Marionette Dmitri Anatoljewitsch Medwedew vier Jahre als Regierungschef, nach einer Verfassungsänderung zur Amtsdauer des Präsidenten und einer grandiosen, quasi öffentlich organisierten Wahlfälschung seit 7. Mai 2012 im Rücktausch mit Medwedew wieder für jetzt sechs Jahre russischer Präsident – hat Wladimir Wladimirowitsch Putin vor den Augen der Welt und in schulterklopfender Freundschaft mit einigen westlichen Politikern in Rußland eine Diktatur errichtet, die durch ihren Gewaltapparat stabiler scheint, als es die Sowjetunion je war. Unbestätigten Schätzungen zufolge soll Putin, dessen Einkommen offiziell 81.000 US$ pro Jahr beträgt, über ein mehrstelliges privates Miliardenvermögen verfügen. Er hat, berichten Insider, seine Finger (und Gewinne) auch in nordddeutschen Konzernen, Geschäftsbeteiligungen, die während der Kanzlerschaft Gerhard Schröders geschlossen wurden. Wer es noch nicht weiß: Gerhard Schröder ist jetzt Aufsichtsratsmitglied beim deutsch-russischen Gaskonsortiums NEGP (eine Tochter - 51 % - von Gazprom, einem Konzern in Putins Machtbereich) und bekommt dort nach eigener Aussage ein Jahresgehalt von 250.000 €.  Auch das sowjetische Säbelrasseln gegenüber den USA hat Putin jüngst wieder aufgenommen. Alles wie gehabt.

Ach ja, zu seiner erneuten, einer an Pomp beinem Zaren würdigen Amtseinführung hatten viele demokratische Politiker abgesagt. Der deutsche Ex-Kanzler Schröder und Italiens Ex-Präsident Berlusconi waren eingeladen und sonnten sich im Glanz des alten und neuen Machthabers.
 
 
Masha Gessen – „Der Mann ohne Gesicht“
Wladimir Putin. Eine Enthüllung
Aus dem Englischen von Henning Dedekind und Norbert Juraschitz.
2012 Piper Verlag, München
368 Seiten, gebunden, einige Fotografien, Anmerkungen zu Quellen, ISBN-10 349205529X - ISBN-13 9783492055291
22,99 €
 
Weitere Informationen: www.piper.de