Die Öffentliche Meinung
macht nicht mehr mit Politik und Erotik:
„Orpheus in der Unterwelt“ Eine Inszenierung
des Theater Solingen Kultur ist kein Luxus, den wir uns leisten
oder auch streichen können, sondern der
geistige Boden, der unsere eigentliche innere
Überlebensfähigkeit sichert.
Richard von Weizsäcker
So geht das nicht!
„Halt, so geht das nicht! Hier geht es um Klassik!“ Mit scharfem Appell an Orpheus (Gast Raphael Pauß) und Jacques Offenbach versucht Die öffentlichen Meinung (Daniela Jungblut), dem Schabernack mit der griechischen Mythologie in Offenbachs Opéra bouffon „Orpheus in der Unterwelt“ Einhalt zu gebieten, in der er einen köstlichen Reigen von Karikaturen irdischer Anti-Helden und göttlicher Gauner aufmarschieren läßt. Eine Wohltat, wenn ein Genre sich derart selbst auf die Schippe nimmt. Igor Folwil hat in seiner Neufassung und Inszenierung für das Theater Solingen im Bühnenbild von Manfred Kaderk auch die Sprache den Zeitläufen angepaßt. Vor dem Hintergrund der möglichen politischen Entscheidung der Bergischen Städte Remscheid und Solingen, ihr gemeinsam unterhaltenes vortreffliches Orchester, die Bergischen Symphoniker aus Etatgründen einzusparen, bekommen solche Appelle der Eigenproduktion einer regionalen Bühne natürlich ein besonderes politisches Gewicht. Schon in der heiter beschwingten Ouvertüre zeigte das Orchester seine Qualität mit Solo-Stimmen von Klarinette, Cello und Violine.
Ein Kabinettstückchen des Styx
Entführungsopfer können echt nervig sein. Das muß Pluto (Gast Manfred Ohnoutka) leidvoll erfahren, der die schöne Eurydike (Tina Stegemann), die er sich auf der Erde in Verkleidung des Hirten
Heiß wird es derweil Göttervater Jupiter (Ralf Rhiel) im als lustloser Stadtrat daher kommenden Olymp. Gattin Juno (Anna Wagner) unterstellt, er habe die Schöne entführt (tut er ja sonst auch immer). Zur Überführung des leugnenden Pluto macht der Olymp mit deutlichen Anspielungen an die Lokalpolitik („Was weißt du von Kunst, über die Notwendigkeit eines Orchesters!“) einen Ausflug in den Hades, willkommene Abwechslung nach Nektar und Ambrosia bis zum Erbrechen. In der Hölle gibt’s ein Bacchanal, das für einige mit einem Kater endet. Daß Jupiter in Fliegenverkleidung dann doch noch die flotte Eurydike – er hat nämlich auch Appetit auf die Blondine bekommen - im „Summs-Duett“ herumkriegt, löst ihren (und seinen) Frust. Auf Drängen Der öffentlichen Meinung soll Orpheus schließlich Eurydike zurückbekommen – doch es geht augenzwinkernd ein wenig anders aus.
So geht das schon!
Es ist viel Witz drin: Olymp als verschnarchter Stadtrat, Hölle als veritables Pantomimen-Theater,
Glänzende Stimmen, voran die Damen Tina Stegemann (als merkwürdig prüde verhüllte Kokotte), die bildschöne Sarah Schnier als Diana mit glitzernd klarem Sopran und der ihrer berückenden Erscheinung schmeichelnden Garderobe (eine Augen- und Ohrenweide), Kerstin Bauer als Cupido, kraftvoll Daniela Jungblut als Die öffentliche Meinung und Vollblutweib Anna Wagner als hinreißende Juno machten mit der Musik Offenbachs unter Peter Kuhns Leitung gemeinsame gute Sache.
Raphael Pauß gab einen sympathisch notgeilen Orpheus mit Elevin auf dem Schoß, ein augenzwinkernder Seitenhieb auf den Musikschulbetrieb. In Solo wie Ensemble („Hinab!“, „Ach ich habe sie verloren“) bescherten sie samt hervorragend einstudierten Chören Genuß. Horst Meinardus leitete den Opernchor der Kölner Hochschule und den Theaterchor Solingen. Frech, aber durchaus passend ein geklauter Abstecher zu Hans Steinhoffs Film „Tanz auf dem Vulkan“ mit Theo Mackebens „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da“.
Nach drei erfolgreichen Vorstellungen im Solinger Konzerthaus zweien im gut besuchten
Remscheider Teo Otto Theater ist offenbar: das Publikum goutiert die „hausgemachte“ Kultur. Das Theater Solingen hat mit den Bergischen Symphonikern und hervorragenden Kräften der Musikhochschule Köln eine außerordentlich beachtliche, höchst unterhaltsame Inszenierung auf die Beine gestellt, die auch gegen die Einsparung des brillanten Orchesters ein Argument ist: „Halt, so geht das nicht!“Fotos: Andreas Deus
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