Kunst kommt nicht von Konsens

"Kunst kommt von Kürzen" - Eine Hinterbühnen-Satire im Remscheider WTT

von Martin Hagemeyer

Kunst kommt nicht von Konsens

"Kunst kommt von Kürzen"
Eine Hinterbühnen-Satire von Bea Lange, Thomas Ritzinger
und Claudia Sowa

Das WTT schreibt selbst und macht Ernst – aber sehr spaßig

Regie
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Claudia Sowa - Kostüme: Lolita Erlenmaier - Bühnenbild: Peter Strieder Licht/Ton: Nils Weiß, Oliver Greif
Besetzung: Angela Willmann-Strumpf: Claudia Sowa – Brigitte: Verena Sander – Conny: Kristina Otten – Robert: Thomas Ritzinger – Sandro: Björn Lenz
 
Spiel sagt mehr als tausend Worte – und manchmal tut es das undiplomatischer: „Kunst kommt von Kürzen!“, behauptet ironisch der aktuelle Volltreffer am Westdeutschen Tourneetheater in Remscheid; und auch sonst führt das selbst geschriebene Stück gern in die Irre. Zusammen mit Intendantin Claudia Sowa und Bea Lange, sonst zuständig für die WTT-Verwaltung, hat Ensemblemitglied Thomas Ritzinger die Geschichte eines Provinztheaters geschrieben, das es aus Angst um Fördergelder allen Zuschauern recht machen will. Und sich ebendadurch ad absurdum führt.

Multiflexibilitätsdisponibilität

So löblich auch Eigeninitiative ist: Solche Versuche drohen schnell auf zusammengeschusterte
Thesen-Paraden hinauszulaufen oder sich in allzu billigem Politiker-Bashing zu ergehen. Nichts davon im WTT: Mit „Kunst kommt von Kürzen“ ist ein Theaterstück ganz in klassischem Sinne gelungen. Handlung und klare Struktur – kluge Gedanken, bühnengerecht pointiert – mit Schauspielern, die jeweils ihre Figur bei aller Typisierung vorbehaltlos lebendig machen.
Für die Zuschauer heißt das bis zur Pause: Viel Vergnügen über fünf Theaterleute, die sich angesichts leerer Sitzreihen einem „innovativen Finanz-Management“ verschreiben und dessen inhaltlich wie sprachlich monströsen Maximen: „Profitabilität! Massenkompatibilität! Multiflexibilitätsdisponibilität!“

 
v.l.: Verena Sander, Kristina Otten, Claudia Sowa, Thomas Ritzinger, Björn Lenz - Foto © Frank Becker

Witzig zugespitzt die fünf Typen, aber wohl gar nicht allzu unrealistisch: Björn Lenz gibt das Theatersensibelchen mit Hang zum Beschwichtigen wie zum Esoterischen, der das Publikum partout mit „positiven Energien“ erleuchten will. Verena Sander ist als Diva ebenso selbst- wie effektverliebt und setzt für die Kundenakquise auf Plüsch und Purpurtracht. Claudia Sowa spielt die Theaterchefin im Stück als eine Art strenge Patentante (und damit: nicht etwa sich selbst), die mühsam beherrscht die Eingebungen ihrer Truppe kassentauglich zu ordnen versucht. Thomas Ritzinger übernimmt die Rolle des intellektuellen Rollkragenträgers mit dickleibigem „Klassiker“ unterm Arm, nebst depressiven Anwandlungen. Und Kristina Otten hat ausweislich ihrer knappen Bekleidung und des großzügigen Umgangs mit ihrer Handynummer für männliche Verehrer offenbar irgendetwas falsch verstanden mit der Forderung, daß „Kunst sich verkaufen muß“. Oder – – gerade „richtig“?
 

Kristina Otten, Björn Lenz, Thomas Ritzinger - Foto © Frank Becker

Alles aus?


Das ist alles gewinnend gespielt und mit schönen Bühnenideen angereichert. Nach der Pause dann: der Schnitt – allerdings einer, der erst am Schluß schmerzt. Zu sehen und zu hören ist jetzt die kunst-gekürzte Version von „Romeo und Julia“, das nun qua Shakespeare-Prestige die Zuschauer locken soll. Zu hören vor allem; denn das Provinztheater sucht sein Heil jetzt in der Trivial-Oper unserer Zeit, dem Musical – so daß Julia klangvoll klagend „Memory“ aus Webbers „Cats“ anstimmt, während im Hintergrund freundliche Sponsorenhinweise des örtlichen Bestatters über die Bühne tänzeln. „Satire kann so schön sein“, möchte man seufzen. Doch dann: Als man nach den Standing Ovations schon kurz davor ist, den Premierensaal frohgemut zu verlassen, muß die Theaterchefin zum Staunen aller das Votum der Politik verkünden: Da man nun schließlich komplett zum Dienstleister geworden sei, erübrige sich ja die Förderung. Alles aus.
 
Die Kernfrage bleibt

Wenn Theater spielt, und zwar undiplomatisch mit Publikumserwartungen, dann darf das Publikum fragen: Warum? Hier gibt es darauf eine klare Antwort: Die Schlußpointe von „Kunst kommt von Kürzen“ dient einer ganz und gar notwendigen Klärung. Satire gegen Kultureinsparungen, aufgeführt vor Theaterzuschauern, die ja logischerweise ohnehin gegen Kultureinsparungen sind, kann viel Spaß machen, aber kaum Sinn. Ja, das WTT-Stück handelt sehr unterhaltsam von marktgängiger Kultur; aber am Ende mutet es uns außerdem die Frage zu, ob wir – und wir sind Teil des Markts – marktgängige Kultur wirklich nicht wollen. Auch der Rezensent zögert und hat übrigens seit Tagen „Memory“ als Ohrwurm. Aber es stimmt wohl: Eine Kultur, die sich ganz einig ist mit ihrem Publikum – sei es inhaltlich oder künstlerisch –, braucht Förderung am wenigsten. Und wird sie nicht immer bekommen.
Auf diese Botschaft seines Eigenwerks sollte das WTT in der Tat stolz sein. Mag Kunst nun von Können kommen oder von Kürzen: Von Konsens kommt sie jedenfalls nicht.

 
v.l.: Verena Sander, Krisitna Otten, Björn Lenz, Thomas Ritzinger - Foto © Frank Becker

Das Stück wird nach der Sommerpause ab Anfang August 2012 in die neue Spielzeit übernommen.
Weitere Informationen: www.wtt-remscheid.de