Der Philanthrop mit dem Zeichenstift
Jean-Jacques Sempé wird heute 80
Jean-Jacques Sempé ist ein Beschenkter - was uns, seine Freunde und Verehrer, Leser und Liebhaber seiner Kunst selbst zu Beschenkten macht. Nun hat er Geburtstag, einen runden, einen sehr runden, notabene. Sempé wird heute 80 Jahre alt. Anlaß genug für den Diogenes Verlag, dem liebenswerten Zeichner und Philanthropen einen opulenten Bildband mit einem wundervollen Interview, geführt von Marc Lecarpentier zu widmen: „Kindheiten“. Dieses eine Wort trifft wie ein wohlgezielter Pfeil mitten ins Herz von Sempés Arbeit vieler Jahrzehnte, für die das prächtige Buch eine Art Chronik darstellt – zeigt es doch in delikater Auswahl Illustrationen aus mehr als 50 Jahren. Als ein weiterer Glücks-Umstand erweist sich, daß Patrick Süskind den Text des Gesprächs, das ja eigentlich die Autobiographie Sempés ist, ins Deutsche übertragen hat. Diese beiden Männer sind, wie wir aus etlichen Diogenes-Publikationen wissen, Seelenfreunde. Die Poesie von Sempés Zeichnungen findet sich in vielen Texten Süskinds wieder. Nicht ohne Grund hat der Zürcher Verlag die beiden etliche Male (s.u.) zusammengebracht.
Nun also die „Kindheiten“. Die gehen bei Sempé weit über das von immer neuen Wundern erfüllte
Für große französische, englische und amerikanische Zeitungen und Zeitschriften hat er gearbeitet, darunter „Marie-Claire“, „Punch“, „Paris Match“, „The New Yorker“ und „L´Express“. Im deutschen
Etwa zur gleichen Zeit, als Sempé beginnt, seine unnachahmlichen Sujets zu zeichnen, schreibt Marcel Pagnol seine autobiographische Romantrilogie „Souvenirs d’enfance“ (Eine Kindheit in der Provence) und dreht Jacques Tati den Film „Les Vacances de Monsieur Hulot“ (Die Ferien des Monsieur Hulot). Die stille, verzauberte Romantik von Pagnols ländlichen Szenen und die liebenswerte Skurrilität der Charaktere und Strandszenen in Tatis grandiosem Film – wir finden sie auch bei Sempé. Wenn mich jemand fragen sollte, was wohl den
Was wir Jean-Jacques Sempé zu verdanken haben, ist dies ganz bestimmte Schmunzeln, das verstehende und unbedingt ansteckende Lächeln, das seine Zeichnungen verursachen. Gegenwehr ist unmöglich, denn Sempés leise Pointen sind unwiderstehlich. Auto- und Radfahrer, Beziehungskisten und streitende Ehepaare, Snobs und Mittelständler, Optimisten, Lebenskünstler und Traumtänzer, das „savoir vivre“ haben es ihm besonders angetan. Ein Mann, der an einer Blume riecht und ein anderer, der ihm dabei versonnen zuschaut, ein Redner, der zu einer riesigen Menschenmenge „im Vertrauen“ spricht, ganz persönliche Idyllen vor der grauen Kulisse des Molochs Großstadt (die es ihm eigenem Bekennen nach besonders angetan hat), der zufriedene Spaziergänger und immer wieder die Kinder, die in aller Unschuld ihre Spiele spielen - Themen, die Sempé immer wieder neu und genial aufgreift. Einen meiner Lieblingscartoons von Jean-Jacques Sempé sehen sie hier links: Ein leerer, recht kleiner Bus mit einem Angebot von vielleicht einem Dutzend Sitzen steht auf einem großen Platz, am „Nichts ist einfach“ oder „Alles wird komplizierter“ nennt er seine Bücher, in Folio-Bänden zeigt er die Schickeria der Côte d´Azur, die Sommerfrischler oder seine geliebten Fahrradfahrer. Seine Titelzeichnung zu „Rien n´est simple“ von 1962 ist mit heutigem Blick eine herrliche Hommage an den Deuxchevaux, der sich samt Insassen vor dem schimpfenden Flic zur Seite neigt. Nie würde ich Patrick Süskinds Buch „Die Geschichte von Herrn Sommer“ ohne Sempés Illustrationen oder Umschlag akzeptieren. Und ohne seine Umschlagzeichnungen hätten auch „Die letzte Liebe des Monsieur Armand“ von Francoise Dorner und Süskinds „Das Vermächtnis des Maître Mussard“ etwas verloren.
Wir verneigen uns mit Dank und Respekt vor dem Philanthropen mit dem Zeichenstift, wünschen ihm Glück und uns noch viele zauberhafte Bücher.
Jean-Jacques Sempé – „Kindheiten“ © 2012 Diogenes Verlag, 272 illustrierte Seiten, Leinen mit Schutzumschlag, Fadenheftung
ISBN 978-3-257-02120-2 € (D) 39.90 / (A) 41.10 - sFr 55.90 Weitere Informationen: www.diogenes.ch
|