Selig sind die Zukurzgekommenen

von Hanns Dieter Hüsch
Selig sind die Zukurzgekommenen

Ich hab neulich wieder mal für mich festgestellt
Daß ich eigentlich gar nichts bin
Ich will damit nicht sagen daß ich ein Nichts bin
Aber die meisten Menschen sind doch heute was
Ob sie wer sind ist ne andre Frage
Aber was das sind fast alle: was
Ich dagegen
Ich kann an mir herauf und herunter sehen wie ich will
Ich bin nichts
Gerade am Wochenende hat der Mensch ja Zeit dazu
Oder sollte sich die Zeit nehmen
Mal über sich nachzudenken
Was die meisten ja auch nicht tun
Ich dagegen tue es
Muß es tun weil ich nichts bin
Sehen sie mal:
Ich bin kein Kegler
Ich bin kein Ruderer kein Segler
Ich bin kein Fotograf
Ich sammle keine Schmetterlinge keine Bierdeckel
Ich habe keinen Schrebergarten
Ich bin kein 3000-Meter-Hindernisläufer
Ich kann kein Auto fahren
Ich habe keine Briefmarkensammlung
Das ist doch kein Leben
Ich bin kein Taucher
Ich bin kein Wandervogel
Ich bin nicht im Mandolinenklub
Ich mache keine Laubsägearbeiten
Auch nicht für andere
Ich habe kein Opernabonnement
Ich gehe nicht auf die Jagd
Ich bin kein Sonntagsmaler
Ich bin kein Reiter
Ich bin kein Tonbandamateur kein Funker kein Waldläufer
Nichts von alledem
Ich bin weder Rodler noch Jodler
Ich liege nicht auf Luftmatratzen
Ich fliege nicht Drachen
Ich steh nur immer dumm rum und gucke zu
Wenn ich mir wenns regnet aus einer Zeitung eine Mütze
Machen will
Wird immer eine Schwalbe draus
Es gibt ja welche die machen aus einem Kühlschrank
Ein Kinderbett
Oder aus einer Türklinke ein Bügeleisen
Bei mir kommt immer eine Schwalbe raus
Ich meine ich gebs nicht auf
Vielleicht gelingt mir doch eines Tages irgend etwas
Und wenn nicht
Man kann nicht alles haben sein und können
Ich bin eben zu kurz gekommen
Macht nix
Ich sag immer: Selig sind die Zukurzgekommenen
Denn sie tun einem nix!
 
 
Hanns Dieter Hüsch
 

© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Es kommt immer was dazwischen" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung