Schwere Kost mit leichter Muse

„Der Ghetto Swinger“ von Kai Ivo Baulitz in einer Inszenierung der Hamburger Kammerspiele

von Frank Becker

Schwere Kost
mit leichter Muse
 
„Der Ghetto Swinger“
mit Konstantin Moreth
und Helen Schneider

 
„Wegen Ella Fitzgerald bin ich Musiker geworden.“
 Coco Schumann





Regie:
Gil Mehmert – Ausstattung: Beatrice von Bomhard – Dramaturgie: Anja Del Caro - Musikalische Leitung: Karsten Schnack - Fotos: Daniel Bockwoldt/Mayk Azzato
Besetzung: Konstantin Moreth (Gitarre, Schlagzeug, Coco) – Helen Schneider (Erzählerin, Gesang, div.) – Robin Brosch (Kontrabaß, div.) – Christoph Tomanek (Violine, diverse, darunter alle NS-Rollen) – Christoph Kähler (Schlagzeug, Gitarre, div.) – Karsten Schnack – Akkordeon, Posaune, div.) – Jonathan Wolters (Klarinette, Gitarre, div.)


Helen Schneider - Foto: Hamburger Kammerspiele
 
Selten gelingt eine Gratwanderung zwischen dem realen Grauen und der leichten Muse so wie bei dieser szenischen Inszenierung der Hamburger Kammerspiele von Kai Ivo Baulitz´ Stück „Der Ghetto Swinger“. Die erschütternde Lebensgeschichte des „halbjüdischen“ Berliner Jazzmusikers Heinz „Coco“ Schumann, Sohn einer deutschen jüdischen Mutter und eines deutschen nichtjüdischen Dekorateurs, sein Leiden während der NS-Zeit dramatisch aufzuzeichnen und zu vermitteln, stellt angesichts der historischen Tatsachen eine hohe Anforderung dar. Das gilt sowohl für die Darsteller (alle sind mehrfach besetzt und auch exzellente Musiker) wie für die Regie, die bei Gil Mehmert in den besten Händen lag. Das Publikum ist da nicht ausgenommen, denn die Konfrontation mit dem Schicksal der in Deutschland (und Europa) von 1933-1945 verfolgten, entrechteten, beraubten, mißhandelten, zu Millionen ermordeten Juden erschüttert auch 70 Jahre danach noch tief und ist Mahnung.
 
Den Programmgestaltern des Remscheider Teo Otto Theaters muß für die Verpflichtung der Hamburger Kammerspiele mit diesem hochkarätigen Stück und seinen Protagonisten Konstantin Moreth (Coco), Christoph Tomanek (in den schwierigen Rollen aller SS- und SA-Schergen) und Helen Schneider als Erzählerin und Sängerin höchste Anerkennung gezollt werden. Nicht so dem abwesenden Kulturpublikum – man zählte gerade mal ca. 100 Zuschauer im Saal. Das ist erschreckend und peinlich. Unterhaltungsmusik? Gerne! Konfrontation mit den Verbrechen der Väter? Bitte nein! Wo es unbequem, problematisch oder gar anspruchsvoll wird, mit den Mitteln des Theaters hautnah an der reparierten Oberfläche unserer Vergangenheit gekratzt wird, bleibt man in Remscheid wohl lieber im heimischen Ohrensessel sitzen und schaut „Tatort“.


v.l.: Jonathan Wolters, Konstantin Moreth, Christoph Tomanek - Foto: Hamburger Kammerspiele
 
Was luftig, vergnügt mit Swing und Jazz in Berliner Bars mit Franz Thon und Bully Buhlan begann, wurde unter den Nazis bald zum Alptraum. Das amtliche „Swing tanzen verboten“, die SChlagworte „Entartete Kunst“ und „Negermusik“ sollen hier als Synonyme für die Kulturferne der braunen Machthaber stehen. Als 19-jähriger wird Schumann wegen Spielens verbotener Musik, der Weigerung den Judenstern zu tragen und „Verführung arischer Frauen“ verhaftet und ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Als Mitglied der „Ghetto Swingers“, muß er u.a. an dem verlogenen Propaganda-Film „Theresienstadt (Der Führer schenkt den Juden eine Stadt)“, den der ebenfalls verhaftete und später ermordete Komiker Kurt Gerron drehen mußte, mitwirken und musiziert auch nach dem Transport in die Vernichtungslager Auschwitz und Dachau in Lagerkapellen - wie seine Mitmusiker im wahrsten Sinn des Wortes um sein Leben. Während sie auf Befehl „La Paloma“ spielen, werden auf der „Rampe des Todes“ die Menschen „selektiert“ und in die Gaskammern geschickt. Der drängend intensiv vermittelte Zynismus, die Bösartigkeit der Nazis und ihrer Methoden raubt dem Zuschauer den Atem.


v.l.:  Karsten Schnack, Robin Brosch,  Konstantin Moreth, Jonathan Wolters - Foto: Hamburger Kammerspiele
 
Mit Einsprengseln zeitgenössischer Jazz-Titel, Brettl-Lieder und deutscher Filmschlager als musikalischem Gerüst (u.a. „How High the Moon“, „ An allem sind die Juden schuld“, „Creole Love Call“, Minnie the Moocher“, Rosamunde“, „Nuages“, „Caravan“, „Wir machen Musik“, „La Paloma“, „Für eine Nacht voller Seligkeit“, „The Nearness of You“) erzählt das Stück mit einfachen, doch wirkungsvollen Mitteln Schumanns exemplarische Geschichte nach dessen eigenen Aufzeichnungen. Konstantin Moreth hat neben seinem Gitarrenspiel auf der Gibson – „How High the Moon“ und „The Nearness of You“ umrahmen Handlung, die Aufgabe, Schumanns Chuzpe, Angst, Selbstverleugnung und verzweifelte Anpassung glaubhaft zu machen. Es gelingt ihm ebenso intensiv wie Christoph Tomanek die undankbare Aufgabe, die zynische NS-Gewalt fühlbar zu machen. Helen Schneider glänzt als Erzählerin, in allen weiblichen Rollen, sowie als charismatische Sängerin, womit sie ihrem großen Namen gerecht wurde. Bessere Verständlichkeit ihrer Sprechtexte hätte der Aufführung gut getan, da muß sich die Tontechnik des Abends an die Nase fassen.  
 
Coco Schumann lebt heute, 88-jährig und immer noch musikalisch präsent, in Berlin. Sein Selbstzitat:

© Trikont Verlag
„Morgens stand in großen Lettern unter meinem Konterfei in einer bekannten Tageszeitung: „Coco Schumann: Das schreckliche Leben einer Jazz-Legende“! Aber das stimmt nicht. Nein, mein Guter, sage ich angesichts des hellen Planeten, wild und bunt lief es, manchmal zu lang und immer zu kurz, das Leben hat sich unglaublich böse und entsetzlich schön gezeigt. Nur eines war es mit Sicherheit nicht: schrecklich.“, mag ihm helfen, das Grauen zu verdrängen. An den fürchterlichen historischen Wirklichkeiten, die wir uns stets vor Augen halten sollten, ändert es nichts.
Der lange, anerkennende Applaus zum Schluß war eine Verneigung vor der intensiven Entäußerung, der dramatischen Kunst der Mitwirkenden. Eine Sternstunde für das Theater in Remscheid.

Weitere Informationen: www.hamburger-kammerspiele.de  -  trikont.de