Ein „Krug“ im Sinne Kleists

Ingeborg Wolff inszeniert im Wuppertaler TiC Heinrich von Kleists „Der zerbrochne Krug“

von Frank Becker
Scherbengericht
 
Ingeborg Wolff inszeniert
im Wuppertaler TiC brillant
Heinrich von Kleists
Der zerbrochne Krug
 
Inszenierung: Ingeborg Wolff – Bühne: Iljas Enkaschew – Kostüme: Noëlle-Magali Wörheide – Maske: Andreas Frank – Musik: Stefan Hüfner
Besetzung: Robert Cramer (Dorfrichter Adam) – Alexander Bangen (Schreiber Licht) – Martina Wortmann (Frau Marthe Rull) – Elisabeth Wahle (Eve, ihre Tochter) – Katharina Kranemann (Gerichtsrätin Walter) – Ragna Gerhardt (Grete, eine Magd) – Gela Banerjee (Frau Brigitte) – Hartwig Kolbe (Veit Tümpel, Bauer) – Robin Berenz (Ruprecht, sein Sohn) 
 
So muß ein „Krug“ gemacht sein! Flämisch handfest, dennoch eloquent in der Sprache, volkstümlich in der Handlung, doch hochstehend in der Moral, burlesk in Ablauf und Gestaltung, zugleich seriös im feinfühligen Regiekonzept und differenzierten Spiel. Kleist hat mit seinem „Zerbrochnen Krug“ Schillers Maxime von der „Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet“ perfekt umgesetzt. Hinter vordergründiger Komödie steckt – und verbirgt sich nicht einmal – der Anspruch einer höheren Moral, die er stets von Individuum, Gesellschaft und Obrigkeit erwartete und deshalb seinen Stoffen mitgab. Das Wuppertaler TiC-Theater stellte bei der Premiere am Freitagabend genau eine solche Fassung der klassischen Komödie Heinrich von Kleists (1808) vor.
Viele Köche, sagt man, verdürben den Brei. Wie der Volksmund sich irren kann, belegten eindrucksvoll Ingeborg Wolff, die hier nicht ihren ersten fulminanten Erfolg als Regisseurin an der engagierten kleinen Bühne feiern konnte, Stefan Hüfner, der neben seiner Domäne, der musikalischen Bearbeitung, Kleists Text ein behutsam aufgebürstetes Gewand anmaß, Iljas Enkaschew, der ein perfektes Bühnenbild für dieses deftig-delikate Kammerspiel schuf, Noëlle-Magali Wörheide, deren Kostüme eine Brücke zum Heute schlagen und nicht zuletzt Andreas Frank, der als Maskenbildner dem Dorfrichter Adam ganz köstliche Wunden schlägt.


v.l.: Alexander Bangen, Robert Cramer  - Foto © Martin Mazur

Die bejammert der waidwunde Richter beim morgendlichen Herauswälzen aus seinem Alkoven mit Weh und Ach, noch ohne zu ahnen, was dieser heraufdämmernde schreckliche Tag ihm überdies bringen wird. Robert Cramer ist die Verkörperung des verkaterten Elends, ein Adam, der über eine Mitleid fordernde Skala von Klagelauten verfügt, eine herrliche Ouvertüre zu einem äußerst unterhaltsamen Theaterabend.
Heute ist Gerichtstag auf dem Dorf, und ausgerechnet heute wird der Utrechter Gerichtsrat (mit Katharina Kranemann zeitgemäß weiblich und mit einer verständnisvollen Note besetzt) zur unangemeldeten Revision eintreffen, wie durchgesickert ist. Und der Fall, der zu Adams Schrecken just heute vorgetragen wird, ist die Klage um einen Krug, den ein Spitzbube der Frau Marthe (resolut: Martina Wortmann) zerbrach, als er nächtens Hals über Kopf durchs Fenster aus dem Zimmer von deren Tochter Eve (zerrissen: Elisabeth Wahle) floh. Was in dieser Nacht geschehen ist und warum, wer welche Rolle in dem dörflichen Drama spielte, wieso des Dorfrichters Perücke sich im Staket vor Eves Zimmer wiederfand und woher seine Scharten rühren, will die Gerichtsrätin zunehmend energisch herausfinden, während Adam alles tut, um – wir wissen wieso – zu verhindern, daß die Wahrheit ans Licht kommt und sein Schreiber Licht (süffisant intrigant: Alexander Bangen) des Richters Lügen scheinbar unabsichtlich ad absurdum führt.


v.l.: Bangen, Cramer, Wortmann, Kolbe, Berenz, Mit d. Rücken z. Publikum: Wahle - Foto © Martin Mazur
 
Unter Ingeborg Wolffs Hand (sie hat im Laufe ihrer Schauspielkarriere sowohl die Marthe als auch die Brigitte verkörpert) ist dem bis in die Haarspitzen motivierten Ensemble eine hinreißende Aufführung gelungen, unterstützt von Iljas Enkaschews bis ins i-Tüpfelchen durchdachtem Bühnenbild. Die

v.l.: Martina Wortmann, Elisabeth Wahle - Foto © Martin Mazur
behutsame Anpassung des Kleistschen Textes istStefan Hüfner ohne Eingriff in Kleists Intention hervorragend gelungen, und der Regieeinfall, in Schlüsselmomenten das Bild anzuhalten, es in das Licht des Gemäldes eines flämischen Meisters zu tauchen, um der Bedeutung der folgenden Sätze besonders Gewicht zu verleihen, ist nachgerade genial. Wie Adam sich bis zur Entdeckung seiner Schande lügenhaft windet, kann besser als von Robert Cramer kaum gegeben werden, Alexander Bangen gibt dessen Widerpart Licht dezent aufdringlich (doch, das geht), Eves Seelenqual liest man der bezaubernden Elisabeth Wahle mitfühlend von den zarten Zügen ab und Katharina Kranemann läßt zum guten Schluß augenzwinkernd auch die Fehlbarkeit der hohen Gerichtsrätin durchscheinen. Abgesehen davon ist ihr auch der (zerbrochne) Krug zu verdanken, den Frau Marthe anklagend schwenkt – Frau Kranemann ist nämlich auch eine hervorragende Keramikerin. Vergessen wir nicht die omnipräsente Ragna Gerhardt als herumgescheuchte Magd Grete, unauffällig, doch effektiv.
 
Wie schon oben gesagt: so muß ein „Krug“ im Sinne Kleists sein. Theater vom Feinsten. Lesenswert auch das gut gemachte Programmheft, das Kleist vorstellt und die Inszenierung griffig erklärt. Eine Aufführung, die ich Ihnen sehr ans Herz legen möchte.
 
Informationen und Termine unter: www.tic-theater.de