Phrasen unserer Tage

Ewald Palmetshofers „wohnen unter glas“ Im Schauspielhaus Wuppertal

von Martin Hagemeyer

Foto © Frank Becker
Phrasen unserer Tage
 
Ewald Palmetshofers „wohnen unter glas“
im Schauspielhaus Wuppertal
 
 
 
Inszenierung und Bühne: Frank de Buhr – Kostüme: Svenja Göttler – Dramaturgie: Oliver Held - Fotos: Uwe Stratmann
Besetzung: Hanna Werth (Babsi) – Julia Wolff (Jeani) - Heisam Abbas (Max) 
 
Daß eine bekannte Möbelkette über Jahre hinweg mit dem Slogan warb „Wohnst du noch, oder lebst du schon?“ – die Prägnanz dieser Frage erklärt sich mit der nicht selbstverständlichen Behauptung zwischen den Zeilen, daß „Wohnung“ sich nicht deckt mit „Lebensraum“, daß zum Zuhause also mehr gehöre als einen Haushalt zu führen. Die Frage hinter „wohnen. unter glas“ von Ewald Palmetshofer dagegen, dem neuen Schauspiel an den Wuppertaler Bühnen, ist wohl eher: „Suchst du noch, oder wohnst du schon?“ Und, wieder erstaunlich, die Antwort müßte lauten: Beides.
 
Ein Leben auf der Suche, nämlich in ewiger Erwartung von etwas Wesentlichem, Heimatgebendem: Darum geht es in der Geschichte um Babsi (Hanna Werth), Max (Heisam Abbas) und Jeani (Julia Wolff), die sich Jahre nach gemeinsamer Sturm-und-Drang-Jugend wieder treffen. Allen fehlt irgendetwas. Aber nur Max, der mit beiden Frauen intime Erfahrungen hat, analysiert die Lage – und wird darüber zum Zyniker. Heisam Abbas steht denn auch in jeder Beziehung im Mittelpunkt des Stücks, und er gibt Max Grimm und Schärfe; bis hin zur Selbstisolierung.
Zumindest in der Inszenierung von Frank de Buhr ist dabei das Wohnen nicht die Hauptsache. Unterwegs zum Höhepunkt, und das paradox als Dauerzustand: Das ist das Thema, eindrücklich und in verschiedensten Variationen – verbal wie szenisch, mal indirekt und mal so ganz und gar nicht indirekt. Zur letzteren Spielart gehört eindeutig Max‘ Orgasmusproblem. Seine Hand in Bewegung auf Jeanis Brust und ihre in seinem Schritt, während beide, Blick ins Ferne, nebeneinanderhocken: Ein ungemütlicher Anblick, der aber nur am explizitesten macht, wovon auch der Rest des Abends erzählt. Verkrampft in Bewegung sind nämlich alle.  


v.l.: Haana Werth, Heisam Abbas, Julia Wolff - Foto © Uwe Stratmann
 
Hanna Werth wie auch Julia Wolff läßt die Regie albern gestikulierend ständig auf der Stelle laufen. Das illustriert zwar klar die Vergeblichkeit, führt (mit dem monologisierenden Abbas vor und zwischen beiden) allerdings dazu, daß beide Frauenfiguren oft austauschbar erscheinen. Was sie bei Palmetshofer aber nicht sind: Babsi vermißt „Halt“ gebende Liebe und verschwurbelt sich dabei zwischen „das muß jetzt keineswegs immer sexuell sein“ und „Max mit seinem verdammten Kopf auf meiner Brust“. Jeani ist so gesehen eigentlich nicht unbefriedigt, verkrampft sich vielleicht eher in ihrer Unrast: „So Entwicklungen, das macht auch sexy, oder?“
Hast und Krampf vermittelt, in wieder anderer Variation, auch die Textgestalt an sich. Dazu gehören oft gehörte Phrasen unserer Tage; im Tonfall klingen sie bei Hanna Werths Babsi am besten, nämlich: natürlich und vertraut – etwa wenn sie schwankt zwischen Betonungen: „Das hat SCHON was. … Das HAT schon was. Ja.“ Und dazu gehören die Satzabbrüche bei Palmetshofer: „Ich würd das jetzt echt nicht Abschnitt – –.“, „Wie soll ich mich denn da – –?“ Unverkennbar auch dadurch: Hier fehlt etwas.


v.l.: Haana Werth, Heisam Abbas, Julia Wolff - Foto © Uwe Stratmann
 
Und Max? Der grübelt, sucht – und findet als Einziger: „Früher dachtest du: Du wirst es merken, wenn er da ist, der Moment. Ständig auf Zenit-Suche. Aber die Höhepunkte: Die waren mal.“ Zentrale Einsicht. Zentrale Szene: Max zerlegt die Sitzordnung auf der Bühne und stellt sie bewusst neu zusammen – während Jeani wie auch Babsi fortfahren, sich an – mit – auf den weißen Würfeln hyperaktiv abzuarbeiten.
 „Wohnen“ einerseits, „Zenit“ andererseits: Zwei doch sehr unterschiedliche Bildwelten, die sich auch nicht recht verbinden mögen. Das verwirrt etwas. Anders würde sich allerdings das Ende gar nicht erklären: Möbeltechnisch hat Max für sich inzwischen ja Ordnung geschaffen. Aber – auf das High-Light, das Licht im Zenit nämlich, starrt er im Schlußbild genau wie alle.
 
Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de