Bellkanto am Rhein

Ein Gastbeitrag

von Peter Bilsing
Cavalleria Rusticana & Pagliacci
 
Bellkanto am Rhein
Ein Rückblick
 
Samstag, der 20.10.2012 (2. Vorstellung der WA)
 
Kein guter Samstag für Düsseldorf: 5 : 0 verlor der Liga-Aufsteiger Fortuna im ehemaligen Rheinstadion gegen Bayern München. Mit gefühltem 5 : 1 verlor der italienische Verismo an diesem eigentlich schönen, tagsüber noch stellenweise sonnigen Herbsttag das Opernmatch. Nicht Belcanto – sondern, Obacht: Bellkanto war in der Düsseldorfer Rheinoper angesagt. Das Hauspersonal hat alle Hände voll zu tun, grölende Fußball-Idioten aus den heiligen Hallen fernzuhalten. Wir bahnen uns lauthals „Zieht den Bayern die Lederhosen aus!“ tremolierend eine Gasse durch erkennbar frustrierte Fortuna-Fans, die mir mitleidig zunicken und uns spontan respektvoll passieren lassen; Fortuna wird wohl doch nicht Deutscher Meister…
 
Das Düsseldorfer Opernhaus ist für die Wiederaufnahme der zwei doch bei allen Opernfans eigentlich sehr beliebten Verismo-Reißer ausgesprochen mäßig gefüllt – je höher der Rang, desto lichter und leerer wirkt das Gestühl. In den dritten Rang haben sich anscheinend nur ein paar Studenten verlaufen; Opernanfänger oder wohlerzogene Jugend – wir haben uns vor 40 Jahren immer auf die Restplätze im teuren Parkett verteilt, was in der guten alten Zeit der 68er noch erheblich schwerer fiel, denn da wurde an jeder Pforte (nicht wie heuer nur am Haupteingang – Tip!) das Eintritts-Billet kontrolliert.
 
Neben mir sitzt gottseidank ein alter Opernkenner, der mir seine Fachkenntnis und Treue zur alten Tante Rheinoper schon in der ersten der rund 10 Beifalls–Unterbrechungen in dieser doch eigentlich recht kurzen, nur knapp 70-minütigen Opera (heute sollten es gut 90 Minuten werden) mitteilt „schön, daß sich noch so wunderbar alte Inszenierungen aus den 60er Jahren herübergerettet haben“. Als ich ihm mitteile, daß diese Produktion aus dem Jahr 2003 stammt, reagiert er verschnupft, so wie ein Pflegefall hinter mir, der sich röcheln und dauerhustend anhört, als würde er sein irdenes Dasein in der Oper beenden wollen. Da ich meinen Taschen-Defibrillator heute nicht dabei habe und auch weit und breit im engen Düsseldorfer Haus wenig Platz für Wiederbelebungsmaßnahmen ist, bete ich still für den Patienten, der - dem Himmel sei dank - dezent weiter hüstelnd, überlebt.
Der Kölner Ex-Intendant Krämer war einst dafür bekannt, daß er (vor allem) moderne Opernproduktionen mittels überwiegend an lokale Altersheime ausverschenkten Karten besuchermäßig aufpäppelte. In Düsseldorf erwirbt diese Klientel die Opernkarten freiwillig und teuer als Selbstzahler, was den Altersdurchschnitt der Besucher – den eine Universitätsstudie vor gut 10 Jahren mit „63,5“ wissenschaftlich empirisch korrekt ermittelte – auch heuer wohl immer noch selten unterschreitet.
 
Doch zurück zum Kampf um die Bauernehre in jenem kleinen italienischen Mafia-Dorf, wobei der bärbeißige Rezensent akustisch zumindest den Eindruck aus dem Orchestergraben, der DüSys (Düsseldorfer Symphoniker) gewinnt, daß gerade eher die römischen Kohorten die legendäre Via Appia entlang stampfen. Böse Zungen würden sagen: Sie düsten durch die Partitur. Die Sänger halten wacker dagegen – nicht schön, aber laut. Schön laut! Gerard Hoffnung hätte das ganze ein Opern-Horrortorio genannt.
 
Von Loys wirklich grauenhaft trübsinniger und langweiliger Inszenierung sind nur noch Fragmente vorhanden, was die Sache aber nicht angenehmer macht. Von Musiktheater keine Spur mehr - eher eine Inszenierung, die man vielleicht noch gut als Second Hand an die Wiener Staatsoper verkaufen könnte, wo ebenfalls ein Meyer als Intendant seine Programmtaktik „Back to the roots“ realisiert.
Gerade wird, mal wieder, die eigentlich doch ganz schöne Musik durch unerwarteten Zwischenbeifall zerstört. Selbst mit Mühe und Gewalt, auch wenn es die Noten eigentlich vorschreiben, könnte der rührige Maestro Ludovico nicht weiter dirigieren – na, wenigstens heute kein Klatschmarsch!
 
Eben bemerkt Turiddu, daß er zu viel Wein getrunken hat, und möchte lieber fliehen, anstatt sich zu duellieren. Dem Kritiker ergeht es ähnlich, eine handfeste Prügelei mit Bayern-Fans würde meine üble Laune sicherlich erheblich verbessern, aber die Chronistenpflicht zwingt mich noch im Opernhaus zu bleiben – es könnte ja besser werden mit der zweiten Oper. Soeben hat man auf der Bühne den Richtigen erstochen. Das Publikum feiert die Bellkantisten mit „hoch“ und „bravo“-Rufen als habe man soeben die Callas zusammen mit Pavarotti und DiStefano auf die Opernbühne zurück geklont. Oh Mamma Lucia!
Bei soviel Enthusiasmus und lokaler Begeisterung, vielleicht träfe es die Formulierung „Heldenverehrung“ besser, schweigt natürlich des Kritikers Höflichkeit; auch möchte ich mir in meinem hohen Alter heute keine Morddrohungen von Künstlern oder Publikum mehr zuziehen. Wie sagte doch immer mein alter Musiklehrer: Vox populi, vox …
Das Publikum hat immer recht und immer bekommt das Volk, was es verdient; also keine weiteren konkreten Künstlernamen; wie man hört, war die 1.Vorstellung der WA am Donnerstag, zumindest in der Hauptpartien, erheblich besser besetzt.
 
Im zweiten Teil unseres Verismo-Abends hat sich das Bühnenbild erst einmal leider nicht verändert; wieder sehen wir die tristen ollen Kirchenwände und im Durchgang steht immer noch diese fürchterlich lebensgroße Christus-Monstranz, die uns im Vorstück bei einer Art plakativem Tosca-Te-Deum schon so entsetzlich nervte. Später wird der Durchgang durch dezentes Vorschieben einer Pappmaché-Wand, zugemauert – ein bühnenbildnerisches Elends-, besser: Armuts-Zeugnis. Wann kommt endlich dieser furchtbare Mist auf den Müll des Gewesenen, lieber Intendant Meyer?
Das zweite Stück (Hurra, es wird nicht weiter gebrüllt, sondern achtbar gesungen) lebt in erster Linie von der fabelhaften Bühnenpräsenz und begnadeten Stimme des großen Boris Statsenko als Theaterdirektor bzw. Tonio und einem zwar im Klangvolumen reduzierten, aber diesmal erheblich einfühlsamer aufspielenden Orchester; zwar immer noch kein „Magio Musicale Fiorentino“, aber es wird stellenweise zumindest ein schönes Rubato und gelegentlicher Schmelz hörbar.
 
„Die haben die Tür offen gelassen!“ empört sich mein opernkennender Nachbar entrüstet. Jemand ruft „Es zieht!“ Ein anderer „Tür zu!“ Nur mit Mühe und der Aufbietung aller Flüsterkunst kann ich das mich umgebende Publikum beruhigen, indem ich es irgendwie schaffe klarzulegen, daß da gleich die Schauspieltruppe (die Pagliacci) hereinmarschieren wird. Dann lege ich demonstrativ und recht oberlehrerhaft die Finger auf die Lippen – man versteht mich GsD! „Daher die dicke Trommel vor der Tür!“ kann eine ältere Dame noch tröten, bevor sie von mir erschlagen wird. Ich will Boris Statsenko hören!!!
 
„Et kütt, wie et kütt“ (Motto des letztjährigen Kölner Karnevalszuges) – und tatsächlich stürmen nicht nur die Pagliacci, sonder auch die eben auf der Hinterbühne verschwundenen Choristen und Komparsen nun durch die Seiteneingänge wieder ins Haus Richtung Bühne. Welch begnadet einfallslose Reminiszenz an Spielereien des längst überwunden geglaubten Neo-Regie-Theater der 80er. Erstaunlich, daß solche Mätzchen auch im Jahre 2012 beim Publikum noch Verwirrung stiften…
 
Erfreulich: ebenso die weiteren Sänger klingen ohrenangenehm; Zurab Zurabishvili (Canio) läßt keinen der gefürchteten Spitzentöne aus, die Nedda von Elisabeth Selle ist auch darstellerisch fabelhaft und die Comprimarii Cornel Frey (Beppo) und Bogdan Baciu (Silvio) bieten akzeptablen Verismo-Gesang. Gute und solide Chor-, Extrachor- und Kinderchorleistungen (Ltg. Gerhard Michaski) rundeten das Bild dieses Stadttheater-Abends dann doch noch relativ zufriedenstellend ab.
Mit euphorischen Akklamationsorgien - „Ja wir sind schon Weltklasse hier in Düsseldorf, nicht wahr!“ verabschiedet mich mein netter Nachbar. Ich nicke höflich. Als wären wir an der Scala, feiert das Düsseldorfer Fachpublikum seine Künstler und diesen zwieträchtigen Abend.
 
Beim Kritiker bleibt seltsamerweise wenig von der Schlagerhaftigkeit der schönen Melodeien im Kopf zurück und so mache ich mich wieder mit „Zieht den Bayern die Lederhosen aus…“ auf den dann durchaus friedlichen geebneten Heimweg, während ganze Kohorten von Polizeieinsatzkräften (einer beäugt mich noch recht mißtrauisch!) im Gleichschritt und Diskoblaulicht, sowie dem Fanfarengetröte der vielen Einsatz- und Rettungsfahrzeuge an uns vorbei Richtung Altstadt traben.
Vielleicht sollte man im Planungsbüro der Rheinoper solche Termine ggf. zukünftig umgehen. Ein freundliches Schild „Liebe Düsseldorfer Opernfreunde! Wir spielen heute nicht Oper, denn heute spielt unsere Fortuna gegen Bayern!“ wird auch von hartnäckigen Besuchern bestimmt verstanden; insbesondere da das edle Haus gegen Außenlärm ausgesprochen mangelhaft isoliert ist. Es kann nur besser werden. Was hoffentlich auch für die desolate katastrophale Verkehrssituation in der Landeshauptstadt gilt.


Übernahme aus "Der Opernfreund" mit freundlicher Genehmigung