Küchenpsychologie

Søren Schuhmachers "Don Giovanni" in Coburg

von Alexander Hauer
Küchenpsychologie
 
Coburg: Don Giovanni
 

Musikalische Leitung: Roland Kluttig – Inszenierung: Søren Schuhmacher – Bühnenbild, Kostüme: Carola Volles – Dramaturgie: Susanne von Tobien – Fotos: Andrea Kremper
Besetzung: Don Giovanni, Benjamin Werth - Il Commendatore, Michael Lion / Sergiy Zinchenko - Donna Anna, Sofia Kallio - Don Ottavio, Roman Payer / Thomas Volle - Donna Elvira, Betsy Horne / Hayley Sugars – Leporello, Michael Lion / Norman D. Patzke – Masetto, Marcello Mejia-Mejia – Zerlina, Marie Smolka  
Chor des Landestheaters Coburg - Statisterie - Philharmonisches Orchester Landestheater Coburg
 
Dank eines überragenden Sängerensembles, einem grandiosen Chor und einer fantastischen Orchesterleistung gerät der Coburger Don Giovanni zum absoluten Hörerlebnis. Regisseur Søren Schuhmacher hingegen wirft Fragen auf, gibt aber keine Antworten.

Sevilla, Texas

Bevor der erste Ton der Ouvertüre erklingt, zeigt Schuhmacher das Leben Don Giovannis. Einsam in
seiner schicken Wohnung gibt er sich dem Alkohol hin und zappt sich durchs Fernsehprogramm. Es klingelt an der Tür. Er schaltet auf Hauskamera um und – siehe da – er steht selbst vor der Haustür und verkündet seinen Tod.
Mit dem Ausblenden von Mozarts d-moll Streichquartett beginnt dann die Ouvertüre, natürlich bebildert. Vor einem roten Rundvorhang stehen zwei Türsteher und kontrollieren mit Metalldetektoren die Eintretenden. Als sich der Vorhang öffnet erblickt man die Todeszelle Don Giovannis. Ihn, der nicht durch ein weltliches Gericht verurteilt werden kann, liefert Schuhmacher ganz profan an die Giftspritze aus.

Das Leben im Rückblick

Der Zuschauer erlebt nun das Treiben des spanischen Wüstlings aus Sicht des Sterbenden. Dazu findet Bühnenbildner Norbert Bellen seltsam skurrile Bilder, die zu der Küchenpsychologie der Regie passen. Sinnentleerte Symbole, wie Seziertisch, Kinderkarussell und schlecht möblierte Spießerwohnung sprechen für sich. Die Kostüme Carola Volles sind schön anzuschauen, werfen aber ebenfalls Fragen auf. War Goldlamee gerade im Sonderangebot, oder warum tragen Komtur, Leporello und Giovanni die gleichen Kostüme. Ach ja, ich verdränge es mal wieder, die drei sind ja ein und dieselbe Person, oder?
Bei der restlichen Figurendeutung bleibt Schumacher dem Original treu. Donna Anna ist eine selbstverliebte, geile Pute, Donna Elvira ist hysterisch, Zerline eine auf persönlichen Vorteil bedachte Neobürgerliche, Masetto der tumbe Bauernlümmel und Don Ottavio der preußisch korrekte Spießer in der Tweedjacke.

Erschreckende Bilder


Während Leporellos Registerarie sieht man keinen catalogo oder gar ein Laptop, nein, der Blick auf die Verführten Giovannis zeigt Brautleichen auf Seziertischen, teils mißhandelt und übel zugerichtet. Don Giovanni ein Verwandter von Brat Easton Ellis' American Psycho? In diese Psychomasche paßt dann wunderbar das von schräg Kostümierten bevölkertes Kinderkarussell, das den Palazzo Giovannis darstellt. Symbol einer verlorenen, nicht vorhanden Kindheit? Oder einfach nur ein Derivat des Regietheaters der letzten 15 Jahre?

Keine eigene Heimstatt ?

Und weil es gerade so schön verstörend war, bricht Don Giovanni zu seinem letzten Abendmahl auch
in die Wohnung von Donna Anna und Don Ottavio ein. Mit Panzertape an schlechtes Spießermobiliar gefesselt beobachten sie die "Höllenfahrt". Allerdings wissen wir nicht, warum der im ersten Akt erschossene Komtur plötzlich einen Schnitt durch die Kehle hat, noch gibt es eine Erklärung, wie man damit überhaupt singen kann.
Don Giovanni kommt in die Todeszelle, wird letztendlich von seinem alter ego Leporello befreit, wahrscheinlich nur symbolisch und sitzt während des Finales der Wiener Fassung, gesungen in Wärmefolie, wieder in seiner Wohnung.

Überragende musikalische Leistung

In ganz anderem Licht präsentiert sich das musikalische Ensemble. Der bestens einstudierte Chor unter dem neuen Chorleiter Lorenzo Da Rio, das Philharmonische Orchester des Landestheaters unter Roland Kluttig und die Solisten erbringen eine CD-reife Leistung.
Kluttig nimmt sich der Partitur nicht mit leichter Hand an, er interpretiert seine Protagonisten aufs Feinste. Da ist Michael Lion, ein Komtur, wie er im Buche steht. Mit schwerem Baß erfüllt er den
Theaterraum, da ist Marcello Mejia-Mejia, ein jugendlich ungestümer Masetto, der im Lauf des Abends zur Hochform aufläuft. Roman Payer gibt eine ruhigen, besonnenen Don Octavio, sein kraftvoller Tenor ist mit der lyrischen Partie fast unterfordert. Marie Smolka läßt die Zerline mit wunderbar geführten Koloraturen fast zur Hauptrolle des Abends werden. Sie entwickelt ihre Rolle vom aufstrebenden Bauernmädchen hin zur Rachefurie wunderbar.
Sofia Kallio als Donna Anna ist überzeugend, jene Kluft, die sie im ersten Akt bei der vermeintliche Vergewaltigung durch Don Giovanni mit Mozarts Hilfe überwindet ist glaubwürdig, genau wie ihre Falschheit Don Ottavio gegenüber.
Ganz anders gestaltet Mozart die Partie der Donna Elvira. Betsy Horne gibt diese echt liebende von Giovanni und dem Leben betrogene Frau mit ernster Tiefe und grandioser Stimme.
Ebenso kräftig sind Leporello und Giovanni. Norman D. Patzkes Baßbariton ergänzt sich zu Benjamin Werths eher hell timbrierter Stimme. Die beiden bilden ein Dioskurenpaar in Baritonlage, ergänzen sich auch im Spiel.

Großes Theater in Coburg?

Der Abend endete mit verdientem Applaus für Sänger und Orchester. Deutlich verhaltener, mitwenigen, aber deutlich hörbaren Buhs durchsetzt, fiel er für das Regieteam aus. Die schlimmste Küchenpsychologie der letzen Jahre, gepaart mit einer der besten musikalischen Interpretationen.
Ob viele den Rat des Intendanten Bodo Busse, bei offenen Fragen zu dem Stück, es sich ein zweites Mal anzuschauen, folgen, wage ich zu bezweifeln. Anhören sollte man sich diese Traumkonstellation in der fränkischen Provinz sicherlich öfter.
 
Weitere Informationen: www.landestheater-coburg.de

Redaktion: Frank Becker