Über das Abrichten von Grashüpfern

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Über das Abrichten
von Grashüpfern
 
Manchmal glauben Grashüpfer tatsächlich, man sähe sie nicht. Als schütze sie ihre Farbe vor der Form, als wären sie Detektive, die zwischen Büschen lungern, unbeweglich, stundenlang, wie Scheidungszeugen, die auf einen Fehltritt warten.
   Doch man vertue sich nicht. Verläßt man ihren Blick und ihre Anwesenheit nur einen Augenaufschlag lang, und sei es, um sich eine Zigarette zu drehen, seine Oberarme einzureiben oder eine Seite in einer Illustrierten umzublättern, sind sie fort, verschwunden in der großen, großen Welt ihrer kleinen grünen Urwälder, um danach fix wieder, wie ein Gedankenblitz wieder, „hüpf“ wieder, in Erscheinung zu treten.
   Manchmal glauben Grashüpfer tatsächlich, man sähe sie nicht. Nur weil sie keine Trompete blasen oder einen roten Sturzhelm tragen. Diese Spring-ins-Felde. Diese Sekundendiebe. Diese Punktabenteurer. Deren Siegfriedsmal ihr Schnalzen ist, das so unkontrolliert Anwesenheit verrät.
   Manche Frauen schaffen es, Grashüpfer durch Nachahmen dieser Schnalzgeräusche anzulocken: TSchek, TSchek! (Ähnlich diesem Zungenschnalzen, das man benutzt, um Pferdeschnauzen zu bewegen, einem die Innenfläche einer Hand zu lecken.)
   Bei vielen Frauen ist dieser TScheklaut so ausgeprägt artverwandt, daß Grashüpfer aufhören, im Gras zu hüpfen, und nicht nur ihren Artensinn, sondern auch ihre Orientierung verlieren.
   Sie tauchen auf aus ihrem Schutzbereich des gleichfarbenen Untergrundes, der Wiese, und nehmen verliebt und allein Kontakt auf mit diesem sich anbiedernden, schnalzenden Wesen.
   TSchek, TSchek!
   TSchek, TSchek!
   Doch leider ist das Interesse an Grashüpfern gering, auch wenn es sich bei ihnen um bescheidene, anschmiegsame  Tierchen handelt. Zu wenig entsprechen sie dem abendländischen Schönheitsideal. Sie tragen keine Jeans und flegeln sich nicht in Coupés herum. Was reizt schon, auf ein TSchek ebenfalls ein TSchek erwidert zu bekommen? Zu anspruchsvoll sind menschliche Konversationspraktiken entwickelt, als sich bei einem TSchek von einem TSchek nach dem Munde reden zu lassen. Obwohl dies, bei längerem Abwarten und ein wenig Geduld, die Einleitung zu einem zärtlichen Liebesspiel sein kann, das das Niveau des Echos verläßt, wenigstens unter Grashüpfern und Heuschreckenartgenossen.
   TSchek, TSchek!
   TSchek, TSchek!
   Aber so ist es kein Wunder, dass die TScheklautimitierende schnell gelangweilt verstummt und sich anderen Dingen zuwendet. Wie dem Drehen einer Zigarette, dem Einreiben ihrer Oberarme oder dem Herumblättern einer Seite in einer Illustrierten. Was schade ist. Grashüpfer sind verzauberte Marathonläufer; aber wer küßt schon einen Grashüpfer, oder was fängt man mit einem Marathonläufer an, außer ihn laufen zu lassen? 
 
 
 
© Erwin Grosche
Veröffentlichung aus „Warmduscher-Report“
Mit freundlicher Genehmigung