Ein anderes Versprechen der Fotografie

Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung: Hauptstrom. When the clock strikes twenty. Aktuelle Fotokunst

von Andreas Steffens

Foto © Eva Bertram

Ein anderes Versprechen der Fotografie

Vortrag von Dr. Andreas Steffens
zur Eröffnung der Ausstellung:

Hauptstrom. When the clock strikes twenty.
Aktuelle Fotokunst


Gut zwei Jahre ist es nun her, dass Erich vom Endt an diesem Ort die Ausstellung >Menschen im Bild< präsentierte. Sie war der künstlerischen Portrait-Fotografie gewidmet. Zu unserer Freude ist er auch an dieser zweiten großen Fotografieschau im Kunstraum Gewerbepark-Süd beteiligt, als einer der ausstellenden Künstler, und als Mitglied des Projekt-Teams, das sie erarbeitet hat.
Und damit ist bereits ein wesentliches Element des Konzepts angesprochen, das uns leitet: die Kontinuität einer vielschichtigen Tradition der Fotokunst in aktuellen Ausprägungen zusammenzuführen. Deshalb finden Sie die Teilnehmer nicht nur in internationaler Vielfalt – zu den deutschen Teilnehmern gesellen sich Künstler aus Frankreich, den USA, Kanada, Tschechien und Vietnam - , sondern auch in einer drei Generationen übergreifenden zeitlichen Spannweite. Sie alle sind hervorragende Vertreter ihrer Kunst, Träger bedeutender Preise und Stipendien, und mit ihren Werken bereits in maßgebenden Museumssammlungen vertreten, oder auf dem besten Weg dorthin.

Ein solches Projekt realisiert man nicht alleine. Auch im Namen der anderen Mitglieder des Projektteams -  Marc Grümmert, Klaus Küster, Knut Maron und Erich vom Endt - danke ich allen Beteiligten, die diese Ausstellung und den begleitenden Katalog ermöglichten. Ganz besonders dem Kulturamt der Stadt Hilden, Frau Monika Doerr und ihren Mitarbeiterinnen, sowie den Betreibern des Gewerbeparks-Süd, die seit über zehn Jahren diesen Kunstraum ermöglichen, den Herren Hans-Jürgen und Karlernst Braun.
Was erwartet Sie unter der programmatischen Metapher des ‚Hauptstroms’, die den Titel für diese Schau ‚aktueller Fotokunst’ abgibt, die der Untertitel ankündigt?
Zeitgenössisch zu sein, fällt nicht schwer, man ist es einfach als Angehöriger seiner Zeit; zeitgemäß dagegen, ziemlich. Gelingt es einem, in der Gestaltung der Erfahrungen, die er mit ihr macht, seine Zeit zu kommentieren, wird seine Arbeit aktuell.
In diesem Sinne sind die Bilder der beteiligten Künstler ‚aktuell’. Auf ihre jeweils eigene, sehr individuelle Weise stehen sie alle nämlich eindrucksvoll und überzeugend für eine als Kunst praktizierte Fotografie ein.

Als der Kunsthistoriker Otto Stelzer 1966 seine grundlegende Studie veröffentlichte, titelte er noch >Kunst und Photographie<. Er mußte noch behutsam für die Möglichkeit der Fotokunst werben; drei Jahre zuvor hatte Karl Pawek, als Herausgeber der Zeitschrift ‚magnum’ ebenso einflußreich wie als Theoretiker der realistischen Fotografie, dieser Möglichkeit eine vehemente Absage erteilt: mit der Fotografie sah er endlich ein unfehlbares Mittel gefunden, die ‚wirkliche Wirklichkeit’ dingfest zu machen.
Erst 1977 konnte Gisèle Freund in ihren Erinnerungen mit dem schönen Titel >Memoiren des Auges< in gelassener Nüchternheit feststellen: heute ist es zu einer Selbstverständlichkeit geworden, daß die Fotografie zu den graphischen Künsten gehört. Da hatte die documenta 5 1972 die Fotografie zum ersten Mal der Malerei mindestens gleichrangig, wenn nicht überlegen behandelt. Von da an wurde sie schnell so fraglos zu einer Kunst, dass sich in den 80er Jahren bereits Überdruß bemerkbar machte, der jedoch bald wieder verstummte, seitdem die Fotografie einen stetig expandierenden Anteil am internationalen Kunstmarkt eroberte. So konnte Boris Groys 1997 in seinem Essay >Das Versprechen der Fotografie< resumieren: Am Ende des 20. Jahrhunderts hat sich die Fotografie nicht nur als eine anerkannte Kunstform, sondern als eine führende endgütig durchgesetzt. Das großformatige fotografische Bild ersetzt heute zunehmend das traditionelle malerische Bild an den Wänden der Galerien, Privatsammlungen und Museen. Aus einer ‚illegitimen’ Kunst wurde die Fotografie zur repräsentativen Kunst des beginnenden 21. Jahrhunderts.
Schaut man genauer hin, muß dieses historische Tableau stutzig machen: warum mußte im Abstand von zehn, zwanzig Jahren aufs neue beteuert werden, die Fotografie sei eine Kunst? Am Ende, weil sie es mit der so nachdrücklich behaupteten Selbstverständlichkeit eben nicht ist?
Das scheint mir der sinnvollste Schluß zu sein. Nicht, dass ihre Befähigung zur Kunst noch fraglich wäre; aber das, was genau sie zur Kunst, und zu der Zeit, in der sie auftritt, macht, diese Frage stellt sich immer wieder aufs neue.
Sie steht im Hintergrund der Konzeption dieser Ausstellung und der ästhetischen Haltung, die sie manifestiert.
Zugespitzt, handelt es sich um die Problematik eben jenes ‚Realismus’, dessen offensichtlich ‚treuere’ Erfüllung die Fotografie die Malerei als Leitbildkunst unserer Zeit überflügeln ließ. Was Boris Groys die ‚Utopie’ in ihrem ‚Versprechen’ nannte, dass die Fotografie nämlich einen Grad der Diesseitigkeit, der Realität, der Wahrheit, die die traditionellen Künste nicht versprechen konnten, erreiche, genau diese Utopie gefährdet die Fotografie als Bildkunst. Paradox gesagt, die Fotografie wird desto mehr zu einer Kunst, je weniger sie ihr realistisches ‚Versprechen’ erfüllt, das sie zur Leitkunst des 21. Jahrhunderts werden ließ.

Nun gibt es seit den Avantgarden des frühen zwanzigsten Jahrhunderts eine andere Fotografie, die auf diese realistische ‚Utopie’ nachdrücklich verzichtet. Daran knüpft das Konzept des ‚Hauptstroms’ an. Die verschiedenen Strömungen eines nichtdokumentarischen Einsatzes der Fototechniken verbinden sich zu einem Hauptstrom aktueller Fotokunst.
Als deren wichtigste Eigenschaft erweist sich der Verzicht auf einen Realismus, der unter den zeitgenössischen Bedingungen der elektronischen Bildzivilisation in große Bedrängnis geraten ist. Denn im Universum der visuellen Manipulierbarkeiten gibt es keinen eindeutigen, von jedermann identifizierbaren Wirklichkeitsindex mehr, nicht einmal mehr den eigenen Augenschein einer Sache.
Ihr wichtigstes Kennzeichen - das alle Künstler und Werke aufweisen, die hier versammelt sind - , liegt in der Umwertung des ‚Motivs’ vom Gegenstand einer abbildbaren Wirklichkeit zum Formelement einer reinen Bildlichkeit. Als Bildkunst tendiert Fotografie zur Umkehrung der Illusion der Gegenstände in die Gegenständlichkeit der Illusionen.
Damit repräsentiert die hier vertretene Fotokunst in unseren Augen - in anderen mag das anders aussehen, wogegen wir nichts einzuwenden haben - , was eine zeitgemäße, also ‚aktuelle’ Fotokunst heute auszeichnet.

Für den Betrachter liegt darin ein gar nicht zu überschätzendes Angebot: Etwas, das man kennt - und fast alles, was an Sichtbarkeiten in diese Bilder eingegangen ist, kennt jedermann - , Eigenes also mit anderen Augen zu sehen zu bekommen. Eine Erweiterung der eigenen Kenntnisse ist dabei ganz unvermeidlich, denn wer etwas kennt, sieht es nicht mehr. Aber nur, wer etwas gesehen hat, kann es kennen. Darin liegt ein vertrackter Zirkel der Unbekanntheit, der von der Flut der Fotos unablässig gespeist wird, die in jedem Moment in aller Welt gemacht und durch die elektronischen Massenmedien allen überall vorzeigbar gemacht werden. Die Fotokunst durchbricht diesen Kreislauf des Ungesehenen im Blick des Betrachters auf ihre Werke, die das Unbekannte an dem zeigen, was er schon kennt. So dient die fotografische Bildkunst einer Erweiterung der eigenen, immer beschränkten Organleistung des für unsere Lebens- und Weltorientierung elementaren Sinnes.

In dieser Orientierung vollzieht die Fotografie eine Parallelbewegung zu jenem anderen kulturellen ‚Hauptstrom’ in der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie des 20. Jahrhunderts, dessen Ergebnis bereits zu seinem Beginn von dem Philosophen Edmund Husserl - 1913 im Vorwort zu seinen >Ideen zu einer reinen Phänomenologie< - formuliert wurde: Am liebsten hätte ich auch das arg belastete Wort REAL ausgeschieden, wenn sich mir nur ein passender Ersatz dargeboten hätte.
In der Folge sollten sich überraschenderweise die Naturwissenschaften von dem Konzept einer Erkennbarkeit und Darstellbarkeit ‚der’ Wirklichkeit verabschieden, spätestens, seit Werner Heisenbergs ‚Unschärferelation’ das Resumé der Quantenphysik gezogen hatte, das besagt, dass es keine Erkenntnis ohne verändernde Einwirkung auf ihren Gegenstand geben kann.

Seit dem Impressionismus war das für bildende Künstler schon keine Überraschung mehr, die ins Bild zu setzen suchten, was sie sahen, und nicht, wie das sei, was man sieht.
Beide ‚Hauptströme’, der bildenden Künste ebenso wie der Erkenntnis- und Wissenschaftskritik, kommen in der Konsequenz überein, eine reproduzierende Auffassung von Wirklichkeit durch eine produktive zu ersetzen. Pointiert gesagt: es gibt nichts, außer, wir haben es uns vor Augen gestellt, indem wir es aus den gestalteten Eindrücken unserer Wahrnehmungen und Erkenntnisse bildeten.
Erwin Chargaff, als Pionier der Biochemie einer der maßgebenden Naturwissenschaftler des vergangenen Jahrhunderts, der zu einem der radikalsten Kritiker ihres Wirklichkeitsverständnisses wurde, hat den Schnittpunkt dieser beiden ‚Hauptströme’ prägnant beschrieben: Tatsächlich ist es die Intensität der Anschauung, die viel schwerer ins Gewicht fällt als ihre Vollständigkeit oder Richtigkeit. Ich zweifle, daß es so etwas gibt wie eine richtige Anschauung von der Natur, es sei denn, daß die Spielregeln vorher deutlich festgelegt worden sind. Zweifellos wird es später andere Spiele geben und andere Regeln.
Die Fotografie identifiziert nicht, sie zeigt nicht; sie repräsentiert Wahrnehmungen.
So sehen wir in Eva Bertrams Titelbild zur Ausstellung den Hund im Seitenspiegel des vor einer Plakatwand stehenden Autos, aus dessen totem Winkel die Fotografin den hinter dem Auto stehenden Hund aufgenommen zu haben scheint – und übersehen, was wir tatsächlich sehen: ein Bild eines Bildes, das sich auf einem Bild befindet.

Die Fotokunst einer subjektiven Poetik, welche die Welt, die sie abbildet, in ihren Bildern herstellt, durchbricht die Pseudoobjektivität der elektronischen Bilderwelt, und führt den Akt des Bildens auf seinen Ursprung zurück: den Impuls, eine wahrgenommene Wirklichkeit durch die Formung ihres Eindrucks im Bewusstsein als eigene Wirklichkeit anzueignen. Der mögliche ‘Realismus’ jedes Bildes liegt weder in seinem Motiv, noch in seiner Machart, sondern ausschließlich im Blick dessen, der es macht, und im Blick seines Betrachters.
Das ist der historische Moment für eine neue Subjektivität in der Produktionsästhetik der Fotografie als einer Kunst des Sehens. Die Objektivität des Bildes ist eine Leistung der Subjektivität seiner Herstellung. Die Leistung dahinter besteht darin, die Technik ästhetisch so zu steuern, dass das Bild zwar mittels der Apparatur entsteht, aber kein Bild des Blicks der Apparatur mehr ist.
Von den darin liegenden Möglichkeiten machen die zeitgenössischen Fotokünstler ausführlich und virtuos Gebrauch. Der bewußte Einsatz der Manipulierbarkeit des Fotos im Dienst der Subjektivität des Fotografen kann - wie bei Janet Zeugner - bis zur Aufhebung der Grenze zur Malerei im ästhetischen Eindruck des Bildes ebenso führen wie zum Rückgang auf das reine ‚Lichtbild’ des Fotogramms bei Klaus Küster.
So vielfältig die Temperamente der hier versammelten Künstler, so vielfältig sind ihre ästhetischen Einsätze in einer freien Poetik der Fotografie. Bildgebend werden die Ironie der Sachlichkeit (Gosbert Adler, Antje Dorn, Klaus Küster), die formale Vorgeprägtheit vorgefundener Situation in Natur und Zivilisation (Katrin Amft, Britta Huntemann, Eric Le Ménédeu, Knut Maron), eine bis zur magischen Verrätselung steigerungsfähige Mehrdeutigkeit (Eva Bertram, André Grossmann, Volker Heinze, Knut Maron, Petra Wegener), eine Unschärfe, die das Unsichtbare durchsichtig werden läßt (Francis Dumas, Marc Grümmert, Janet Zeugner, Heidi Schneekloth), die Erscheinung der Person im Weltausschnitt der Räume, in denen sie sich bewegt (vom Endt).
Da es das Bild, wovon auch immer, nicht geben kann, muss es viele Bilder unterschiedlichster Bildautoren geben: weil sich nichts abbilden läßt. Was es dagegen geben kann, sind Bilder, die Wahrnehmungen dessen zeigen, was als wirklich erfahren wurde. Deshalb gibt es in den Bildern der Fotokunst wenig wiederzuerkennen und viel zu entdecken.


© Dr. Andreas Steffens - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2007

Ort der Ausstellung: Kunstraum Gewerbepark-Süd, Hofstraße 64, Hilden
Dauer der Ausstellung: 16.09. - 14.10.07
Öffnungszeiten: Di – Fr 14 – 18 Uhr, Sa – So 11 – 16 Uhr
Finissage: 14.10.07, 11:00 - 13:00 Uhr