Der Super-GAU

Werner Geismar - „Cattenom - Das Ende einer Laufzeit“

von Frank Becker

100.000 Tote
 
Der beste Atomenergie-kritische Roman
seit Hans H. Ziemann
 
Das Schreckensbild des längst nicht mehr undenkbaren atomaren Super-GAU, das Werner Geismar in seinem Roman „Cattenom – Das Ende einer Laufzeit“, vom Verlag unnötigerweise als „Anti-Atomkraft-Thriller“ plakatiert, leidenschaftslos und genau dadurch unter die Haut gehend entwirft, entspricht den rationalen Aussagen John Castis in seinem Sachbuch „Der plötzliche Kollaps von allem – Wie extreme Ereignisse unsere Zukunft zerstören können“. Wir alle wissen spätestens seit Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima, daß die Katastrophe allgegenwärtig latent im System lauert. Wir wissen nicht, welche Katastrophen uns in der Vergangenheit verschwiegen, welche vertuscht und kleingeredet wurden, denken wir nur an havarierte russische Atom-U-Boote. Aber wir wissen um die Gefahr, die von kommerziell betriebenen Kernkraftwerken ausgeht, die von den Betreiberstaaten gerne in unmittelbarer Grenznähe gebaut werden, damit im Katastrophenfall nicht die ganze eigene Nation verseucht, sondern die Last auf den Nachbarn abgewälzt werden kann. Cattenom ist neben Fessenheim nur ein französisches Beispiel dafür. Nicht ohne Grund protestieren deutsche und luxemburgische Umweltschützer (aber auch französische) schon seit dem Bau gegen diese tickende Zeitbombe im Länderdreieck. Die Regierungen kuschen derweil vor der mächtigen Atomlobby.
 
Dem Krimi-Autor Werner Geismar ist mit „Cattenom“ ein ganz großer Wurf abseits seiner bisherigen, ebenfalls erfolgreichen Linie gelungen. Seit Hans H. Ziemann 1976  „Explosion im Atomkraftwerk“ veröffentlichte, hat kein Roman so eindrucksvoll die Folgen eines Atom-Unfalls geschildert wie dieser. Geismar beschreibt die durchaus mögliche fatale Verkettung von technischen Störungen, Wetterphänomenen, von außen herangetragener krimineller Energie, persönlicher wie fachlicher Inkompetenz und politisch kalkulierten Rücksichtnahmen, die im Endeffekt zum größten anzunehmenden „Störfall“ im mit dem Wasser der Mosel gekühlten Kernkraftwerk Cattenom führen. Er hat glaubhafte Szenarien und realistische Charaktere entwickelt, dafür sehr genau recherchiert, Katastrophen-Schutz (Einsatz-) Pläne ausgewertet und seinen Plot in den 262 Seiten des hervorragenden Romans so spannend und brillant umgesetzt, daß daraus ein echter „Page-Turner“ geworden ist. Ein Buch, das man fieberhaft liest und nicht aus der Hand legt, bis man das sachlich bittere Ende erreicht hat. Die dabei entwickelten dramatischen persönlichen Schicksale sind nicht weniger packend als die präzise beschriebene Zuspitzung des technischen Zusammenbruchs, des rücksichtslosen Kalküls der Kraftwerksbetreiber und des von Machtinteressen gesteuerten Unvermögens politischer Entscheidungsträger. Für mich eine der besten aktuelle Neuerscheinung auf dem belletristischen deutschen Markt. Das verdient unsere besondere Auszeichnung, den „Musenkuß“.
 
Vor 37 Jahren schilderte Hans H. Ziemann in seinem Roman (s.o.) „Explosion im Atomkraftwerk“ (Molden Verlag) bereits die fatalen Folgen eines solchen - hier durch Sabotage hervorgerufenen - Unglücks im fiktiven AKW Grenzheim (an Biblis angelehnt). Es ist noch heute ein äußerst lesenswertes und erschütterndes Buch - im Handel vergriffen, aber antiquarisch leicht zu finden. Von der Musenblätter-Redaktion zur ergänzenden Lektüre empfohlen.
 
Werner Geismar  - „Cattenom - Das Ende einer Laufzeit“ (Roman)
© 2012 gardez! Verlag, 262 Seiten, Broschur (Taschenbuch) ISBN 978-3-89796-239-2
9,90 €

Weitere Informationen:  www.gardez.de