Niederrheinische Themen

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz

Niederrheinische Themen
 
Neulich hat mir ein Freund gesagt
Ein Dortmunder in Saarbrücken
Hat mir gesagt
Wir Niederrheiner hatten eigentlich genau besehen
Nur zwei große Themen im Leben
Nämlich
Essen und Sterben
Un da hab ich zuerst gedacht
De spinnt de Mann
Aber nach en paar Tagen hab ich dann doch gedacht
Essen und Sterben
Da is was dran
Also Essen als Verdauung
Un Sterben als Verwesung
Denn der Niederrheiner
Der kann doch stundenlang erzählen
Wat er gern ißt und wat er nich so gern ißt
Un wie de gestorben is
Un woran
Un wie lang dat gedauert hat
Un welcher Arzt dat alles verpfuscht hat
Un wer schließlich dat Ganze erbt
Un dat gar nix mehr da is
 
Weil das ist alles für die Operation draufgegangen
Un wir hatten am Sonntag dicke Bohnen
Un erzählen tun die das alles
Als wenn das alles nix wär
Beim Essen reden se vom Sterben
Un beim Sterben reden se vom Essen:
Du muß jetzt tüchtig wat essen
Denn et kommen jetzt schwere Tage auf dich zu
Grad wer trauert der muß zwischendurch tüchtig wat essen
Sonz stehsse dat gar nich durch
Un vom Hungern
Davon wird de Hein auch nich wieder lebendig
Da musse schon wat zwischen de Rippen haben
Wie gesagt
Beim Sterben reden se vom Essen
Und auf den großen Familiengeburtstagsessen
Wo also immer viel gegessen wird
Da reden se vom Sterben
Un rufen quer über den Tisch
Ganz laut
Un meistens noch mit vollem Mund
De hat sich et Genick gebrochen
Is doch gar nicht wahr
De is doch bloß vom Fahrrad gestürzt
Ja sach ich ja
Un dann is de so unglücklich gefallen
Dat er sich et Genick gebrochen hat
 
Weg War er
War ein schöner Tod
Hat jedenfalls nix mehr gemerkt
Erna de Kartoffelsalat is ganz große Klasse
Wen meinst du eigentlich
De Tendicks Jung
De Paul Tendick
Dat war doch son Fahrrad-Fan
So möchte ich nich sterben
Hat aber nix mehr gemerkt
Samma ist de Vater nich in sonem großen Kornsilo
Umgekommen
Ja genau de is regelrecht im Korn ertrunken
Hamwer doch immer scherzhaft gesacht
De is in sonem großen Getreidespeicher
Is de vom Brett ausgerutscht
Un weg war er
Un kein Mensch hat ihn rufen gehört
Da hamse dann tagelang gesucht
Bis se dann langsam drauf gekommen sind
ja un dann haben se den Silo
Dat warja en groß Ding
Also dat ganze Korn alles raus
Und dann hamse ihn dann ganz unten gefunden
Furchtbar
Die alte Frau hat das gar nicht verwunden
Is ja auch kurz drauf gestorben
 
Un jetzt de Jung
Also manche Familien sach ich immer
Kommen auf keinen grünen Zweig
Kannze mir mal das Brot rübergeben
K ratz doch die Butter nich so
Is doch genug da
Ich werd zu dick
Ach wat die sieben mageren Jahre die kommen schon noch
Verhungern is auch kein schöner Tod
Samma kauft ihr eigentlich die Leberwurst
Immer noch bei Pannenbeckers
Dacht ich mir schon
Ich sach immer
Man kann sich seinen Tod nich aussuchen
Aber et Essen schon
Un das is doch wenigstens wat im Lehen.
 
 
Aus: Tach zusammen (1993) / Der Große Hüsch, Band 2 (2011)


© Chris Rasche-Hüsch/ Verlag Kiepenheuer & Witsch
Veröffentlichung aus "Der Große Hüsch, Bd. 2" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnung stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.