Miniatur-Manual der öffentlichen Rede

Für B.

von Andreas Steffens

Illustration © Archiv Musenblätter

Miniatur-Manual der öffentlichen Rede

Für B.



I.

An das Wichtigste denke zuletzt: dein Publikum.

II.

Frage dich: was willst du: etwas erläutern; belehren; unterhalten; Anhänger gewinnen; mitteilen; für jemanden werben?

III.

Beginne nie mit der Ausarbeitung dessen, was du sagen willst, bevor du dich nicht gefragt hast: Was geht das Thema, das mir gestellt ist, mich selbst an?


IV.

Willst du andere für eine Sache, die dir wichtig ist, gewinnen, spreche von dir selbst.

V.

Mache dich zum/r Herrn/in deines Themas, indem du nacheinander zu denen sprichst, die mehr wissen, soviel wissen, weniger wissen als du, die gar nichts wissen.

VI.

Stelle dir bei der Vorbereitung dessen, was du sagen willst, nie dein Publikum vor, das du nie vorher kennen kannst, sondern einen Menschen, den du liebst, dem du mitteilst, was dich bewegt, und du wirst selbst ein skeptisches Publikum gewinnen, sogar, ohne es überzeugt zu haben.

VII.

Sage zur Einführung, wenn du Deine Konzeption überschaust und beherrschst, worüber du sprechen wirst; aber nie, worüber nicht!

VIII.

Auf den unvermeidlichen Zuruf ‚Lauter!’, reagiere sofort, indem du noch leiser sprichst.

IX.

Versuche nie, dich verständlicher auszudrücken, als es die Sache erfordert, über die du sprichst.

X.

Ehre dein Publikum, indem du ihm mehr zutraust, als du ihm zutrauen kannst. Nichts ist beleidigender, als sich auch denen verständlich machen zu wollen, die nicht auf der Höhe deines Themas sind: ihnen nutzt du nicht, aber du schadest Deiner Sache, indem du sie verkleinerst.

XI.

Mache Scherze, wenn dir danach ist, aber meide den ‚Humor’: in seiner Atmosphäre wird alles bedeutungslos.

XII.

Polemik ist unfruchtbar, und kostet Nerven; ist also zu vermeiden.

XIII.

Spreche von dir, aber meide persönliche ‚Bekenntnisse’.

XIV.

‚Meine’ nie!

 XV.

Du hast dir in der Sache ein Urteil gebildet. Behandle es als die wichtigste Grundlage deiner Argumentation.

XVI.

Berufe dich nie auf ‚Autoritäten’.

XVII.

Sprich nur über etwas, was für deine Person und dein Leben wichtig ist.

XVIII.

Zitiere nur, wenn du das, was du sagen willst, von einem anderen treffender gesagt findest, als du selbst es gerade könntest.

XIX.

Laß durchblicken, daß auch dir nicht jeder Gesichtspunkt deines Themas vertraut und einsichtig ist. Für andere muß etwas zu leisten übrig bleiben.

XX.

         Sprich nicht länger als du brauchst, um dich dir selbst verständlich auszudrücken, aber nicht    
         kürzer, als ein interessierter Zuhörer braucht, dich zu verstehen.


XXI.

Denke nie an eine mögliche Reaktion des Publikums, die du, da du es nie vorher kennst, ohnehin nicht vorhersehen kannst.


XXII.

Sprich so, daß du mit dir und deiner Sache überzeugend im Einklang sein wirst, wenn du geendet hast. Dann wird auch ein ablehnendes Publikum nicht feindlich reagieren.

XXIII.

Im Zweifel wähle immer die Formulierung, die deinem Empfinden entspricht, anstelle derjenigen, von der du vermutest, daß sie deinem Publikum angemessen wäre: du kennst es nicht.

XXIV.

Du kannst es nie irgendwem recht machen. Also folge nur dem, was du dir selbst abverlangst, und deine Sache dir auferlegt.

XXV.

Ein Publikum, um das du wirbst, wird dich verachten, selbst, wenn es dir zustimmt. Achte es, indem du es forderst, und es wir dir danken.

XXVI.

Sprich immer so, daß man merkt, daß du deinem Publikum mehr zutraust, als wahrscheinlich gerechtfertigt ist.

XXVII.

Belehre nicht. Das vertragen am wenigsten die, die es am nötigsten hätten; sie stellen immer die Mehrheit.

XXVIII.

Sei gelassen, so nervös du auch seist. Aber vermeide nicht, daß man merkt, wie dir zumute ist, man kann es ohnehin nicht verbergen; sei, wie du gerade bist. Aber sprich nie davon: wer um Rücksicht wirbt, wird sie nicht erhalten.

XXIX.

Ein Publikum ist keine Prüfungskommission.

XXX.

Widerstehe der Versuchung, auf vermeintliche Publikumsreaktionen zu reagieren. Dein Empfinden trügt immer. Ändere oder korrigiere nie, während du sprichst.

XXXI.

Berede nie mehr, als dein Wissen deckt, und du wirst unanfechtbar sein.

XXXII.

Widerspruch gereicht dem zur Ehre, der ihn durch gründliche Überlegung weckte.

XXXIII.

So sehr du es auch seiest, trete nie als ‚Experte’ auf.

XXXIV.

Lampenfieber ist nicht nur unvermeidlich, sondern notwendig - : es ist das Maß an Selbstkritik, das in die Nerven geht, das über deine Souveränität entscheidet, wenn die Angst, von der es geweckt wird, aus dem Respekt vor der Sache, der du dich widmest, herrührt, statt aus der Unbekanntheit deines Publikums.

XXXV.

Stelle sicher, daß wenigstens eine Person im Publikum ist, die dir bedingungslos wohlgesonnen ist.

XXXVI.

Vergiß nie: kein Publikum hat ein Urteil.

XXXVII.

Zeige, daß du den Applaus genießt, aber buhle nicht um ihn.


 

© Andreas Steffens - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2007