Pure Augenlust

Bildhauerzeichnungen von Ernemann Sander im Siebengebirgsmuseum Königswinter

von Rainer K. Wick

Foto © Rainer K. Wick
Pure Augenlust
 
Bildhauerzeichnungen von Ernemann Sander
im Siebengebirgsmuseum Königswinter
 
 
Wer in Bonn zu Fuß unterwegs ist, begegnet an mehreren Stellen der Stadt in Bronze gegossenen figürlichen Bildwerken, die den öffentlichen Raum akzentuieren und durch ihr hohes künstlerisches Niveau auffallen. Erwähnt seien nur der Brunnen mit den drei Grazien am „Dreieck“ und die Reliefs an der Rückseite des Bonner Münsters, die Szenen aus dem Leben des Heiligen Martin zeigen.
 
Geschaffen wurden sie von dem 1925 in Leipzig geborenen und heute in Königswinter lebenden Bildhauer Ernemann Sander. In den 1940er Jahren studierte er u.a. bei Walter Klemm an der Hochschule für Baukunst und bildende Künste in Weimar, deren Räumlichkeiten von 1919 bis 1925 das von Walter Gropius gegründete Bauhaus beherbergt hatten. 1953 ging er nach Berlin, 1955 kam er nach Bonn. Neben zahlreichen Arbeiten für den öffentlichen Raum (nicht nur in Bonn und im Rheinland, sondern bundesweit) hat Sander ein umfangreiches freikünstlerisches Œuvre geschaffen, das auch in Zeiten der Abstraktion stets am Gegenstand orientiert blieb, ohne dabei je einem platten Naturalismus anheimzufallen. Seine Skulpturen sind in dem Sinne gestaltet, als sie vom Sichtbaren ausgehen, dieses Sichtbare aber filtern, interpretieren und künstlerisch transformieren. Frühe Arbeiten erinnern zuweilen an die kompakten Volumina eines Aristide Maillol, spätere an die lebendigen Oberflächen eines Auguste Rodin. Manche Plastiken betonen die dynamische Bewegung, andere erscheinen in sich ruhend und fast meditativ.

 
 Liegende 1974 - Rohrfeder


Tier und Mensch, das Porträt und die Ganzfigur sind die zentralen Themen Ernemann Sanders, und das Hauptmotiv, das sich kontinuierlich durch sein Lebenswerk hindurchzieht, ist die weibliche Aktfigur – seit den großen Meistern der griechischen Antike ein Dauerthema abendländischer Kunst. Nun zeigt das Siebengebirgsmuseum in Königswinter, das mit seinen Exponaten zur Geschichte des Siebengebirges mit dem Drachenfels als Hauptattraktion und zur sog. Rheinromantik überaus sehenswert ist, in einer Sonderausstellung eine Auswahl aus dem mehr als zehntausend Arbeiten umfassenden zeichnerischen Œuvre des Künstlers. Die Ausstellung spannt den Bogen von einigen Kinderzeichnungen, die vom Vater Friedrich Sander, dem bedeutenden Gestaltpsychologen und späteren Lehrstuhlinhaber für Psychologie in Jena und Bonn, sorgfältig dokumentiert wurden, bis hin zu Aktzeichnungen neuesten Datums.
 

Sitzende, 1988 - Rohrfeder, laviert

Neben Zeichnungen, die als Vorstudien für konkrete Bildhauerprojekte entstanden sind, gibt es solche – und das ist die Mehrzahl – denen ein gleichsam autonomer Status als eigenständige, in sich gültige Kunstwerke zukommt. Besonders eindrucksvoll sind Sanders Aktzeichnungen. Mag die zeichnerische Auseinandersetzung mit dem nackten menschlichen Körper im 20. Jahrhundert von der sog. Avantgarde auch als „akademisch“ gegeißelt worden sein, für Sander stand immer fest, daß „der Bildhauer das Aktzeichnen wie die Luft zum Atmen braucht.“ Es lassen sich im zeichnerischen Œuvre des Künstlers zwei Grundtypen unterscheiden: die reine Konturzeichnung, die sich auf die frei fließende Linie beschränkt und den Gegenstand mit minimalen Formaufwand zu erfassen sucht, und die Zeichnung, die mit Hilfe von Schraffuren oder Lavierungen die plastischen Qualitäten der Figur betont und einen eher malerischen Charakter trägt. Sanders meisterhafte Zeichnungen faszinieren durch ihre Virtuosität, durch den souveränen Umgang mit den bildnerischen Mitteln, durch die Klarheit und Prägnanz ihrer Formensprache, durch die Vitalität des Strichs und nicht zuletzt dadurch, daß sie etwas von der Sinnlichkeit der Modelle transportieren. Sie sind „frei von unsicherem Suchen und Kleinlichkeit“ und halten „sich nicht mit ablenkenden Details auf“ (Gerhard Charles Rump). Und unberührt von tiefsinnigen Gedanken oder erzählerischen Absichten, wie sie in der Kunst über Jahrhunderte an der Tagesordnung waren, bieten sie vor allem eins: pure Augenlust.


Kniende, 1951 - Pinsel
 

Ernemann Sander. Zeichnungen
Siebengebirgsmuseum Königswinter - bis 07.04.2013
Kellerstraße 16 - 53639 Königswinter - Telefon: 02223-3703
 

Akt, 1974

Das Museum bietet Originalzeichnungen von Ernemann Sander an, die in der Ausstellung erworben werden können. Informationen unter: info@7gm.de
 
 
Alle Fotos © Rainer K. Wick