Rhein und wahr

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Von der Relativität des Geschmacks
und der Geschwindigkeit


27. Februar: Trinkerlied
           
 Nehmt Abschied Brüder ungewiß
 ist alle Wiederkehr
 das Leben ist ein Pausenschiß
 und danach kommt nichts mehr…
 
28. Februar: Wie Bernd auch andere Geschwindigkeiten empfahl
Einmal saß Bernd in einem Restaurant. Er war umgeben von Freunden, die darauf warteten, daß er sich erklärte. Er hatte seit eine Woche kein Wort gesagt und alle waren in Sorge um seinen Gemütszustand. Bernd aß ein Risotto. Immerhin aß er wieder was, aber jeder wußte, daß er eigentlich nie Risotto aß. Er verabscheute Risotto und tat es früher immer als „Nasenschleimsuppe“ ab. Schließlich blickte er auf. Er schaute sich um, als würde er seine Freund zum ersten Mal bemerken und sagte: „Der eine ist langsam, der andere ist schnell. Alle wollen ans Ziel. Der Langsame bemerkt sein Scheitern vielleicht nie.“ Alle waren zufrieden. Bernd sprach wieder, mehr noch, er veränderte die Welt. „Übrigens“, sagte Bernd. „Das Risotto schmeckt wie Nasenschleimsuppe, aber warum soll man nicht auch mal etwas essen, was man nicht mag.“ Da staunten alle und haben gelernt, die Welt ist groß, groß ist der Bernd.

26. Februar: Mir fiel auf, daß mich schon lange niemand getragen hatte. Wie schön war es auf den Schultern von irgendjemanden einen Fluß zu überqueren. Wie lange ist es her, daß man über die Schwelle des Hauses getragen wurde. Warum trägt der Starke nicht mehr den Schwachen? Gerade heut, wo ich so traurig bin, würde ich gern ein Stück getragen werden, damit ich spüre, daß ich nicht allein bin. Wie schön wäre es, wenn mir geholfen würde, wenn meine Kräfte nicht mehr reichen. Also wirklich: Wenn man schon nicht mehr getragen wird, dann sollte man wenigstens bereit sein, jemand anderen zu tragen. Das hilft auch.


© 2013 Erwin Grosche für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker