Eiweißheit

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz

Eiweißheit
 
Wußten Sie eigentlich schon, daß es auf unserer Erde unzählig viele Frühstücksräume gibt? Es sollen etwas über 30 Milliarden sein! Das sind ja diese kleinen innigen Zimmer, mit diesen klotzigen Buffets, mit diesen gepanzerten Marmelade- und Landleberwurstdosen. Durch einen deutschen Frühstücksraum kommt man ja ohne Lötolben kaum noch durch. Beim Frühstücksei ist es gottlob wie ehedem, aber da gibts inzwischen hunderttausende abendländische Eierköpfe, die alle genau wissen, wie man ein Ei - a) eiweißgerecht und b) dotteradäquat kocht. Dotteradäquat scheint aus dem Schwedischen zu kommen, da gab´s mal ’n Film, der hieß Dotterbloms Dotter. Das war also die Tochter des Bauern Dotterblom, und da hat ein leicht gestörter schwedischer König, das war eine Rolle für mich gewesen, den hat aber damals der große Max von Sydovv  gespielt, auch nicht schlecht muß ich sagen, der hat sich diese dralle Bauernmaid untern Nagel gerissen und hat damit den ganzen Hof verunsichert. Ein Wahnsinnsfilm, kann ich Ihnen sagen. Zurück zum Ei. Also, die einen setzen das Wasser au£ warten bis es kocht, die anderen werfen das Ei gleich ins kalte Wasser, bis das Wasser springt und das Ei hinterher. Viele arbeiten ja mit drei Minuten, viele mit fünf Minuten, manche schwören auf vier Minuten, das sind immer die, die dauernd sagen: „Ja, wie lang denn sonst, ja, wie lang denn sonst!“ Einige kochen die Eier gar nicht, trinken sie gleich gierig aus, verschlucken sich und fragen mich dann, wie lang ich ein Ei koche. „Och“, sag ich, „das kommt auf die Größe des Eis an, ob der Rhein Hochwasser hat oder nicht, das ist ganz wichtig, das ist ganz wichtig für die Psyche des Eis. „Gewöhnlich“ sage ich, „macht das Ei mit mir, was es will, d.h. ich muß mich mit dem Ei abfinden, deshalb nehme ich meist ein Messer, rufe Vive La France! und köpfe das Ei.“ Das ist zwar nicht die feine englische Art, aber es ist die Französische Revolution. Ich weiß schon, wie man das vornehmer macht, und zwar mit Hilfe eines Plastikeierlöffelchens, und das ist ja ein Gerät, was mir den ganzen Tag total marode macht. Und wenn sie dann morgens auch noch orange aussehen, weiß man gar nicht, wie sic nachmittags aussehen. Also, ich köpfe das Ei, weil ich immer sage: „Lieber ein Ei mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ei“, und wenn dann der goldgelbe Dotter auf die rosa Bluse meiner Frau fliegt, sind wir auf dem richtigen Wege. Ich mach mich doch nicht von einem Ei abhängig. Fünf Minuten gebe ich dem Ei, nicht mehr und nicht weniger! „Vielleicht“, sagte mir neulich jemand, das war, glaub ich, dieser ältere Herr, der mich mal wegen einiger gymnastischen Übungen angesprochen hatte: „Probieren Sie doch mal den anderen Weg, indem Sie erst mal das Huhn fragen, ob es ein freies oder ein unterdrücktes Ei war.“ „Genau das“, habc ich zu ihm gesagt, „werde ich in dem Fall mal nicht machen, denn, wenn jetzt auch noch die Ideologien in unsere deutschen Frühstücksräume einziehen, also dann guten Morgen, dann werde ich ja leicht wahnsinnig, obwohl ich werde nicht so schnell wahnsinnig.“ Ich weiß nicht, wie das mit Ihnen ist, also so schnell wahnsinnig werde ich nicht. In letzter Zcit ist es so, daß ich wahnsinnig werde, wenn ich etwas weggelegt habe und weiß schon nach zehn Sekunden nicht mehr, wohin. Das ist dann schon ärgerlich. Dann werde ich ziemlich wahnsinnig, muß ich sagen. Denn das ist das Alter, das ist das Alter. Da kommt niemand von uns drumrum, bis auf die, die jung sterben, das ist klar, das haben wir ja hinreichend geübt. Ja, Sie kennen doch meine alte Rechnung: Ein Tag mehr ist ein Tag weniger, das muß man sich nur klarmachen, dann ist das schon in Ordnung. Das können Sie mal mit dem Taschenrechner in Ruhe nachrechnen. Ein Tag mehr ist ein Tag weniger!



Aus: "Meine Geschichten" (1996)

© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnung stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.