Im großen und ganzen…

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz
Im großen und ganzen…
 
Mir geht es eigentlich ganz gut, im großen und ganzen! Im kleinen weniger! Im kleinen habe ich manchmal Schwierigkeiten - große Schwierigkeiten im kleinen! Es gibt Tage, an denen begreife ich überhaupt nichts mehr! Ich stehe vor einem Automaten der Bundesbahn - also für Kurzstrecken im Verkehrsverbund, für City- und S-Bahnen im Nahverkehr -, und da leuchtet dann das Schild auf: »Bitte, passend zahlen!« Da gehe ich meistens wortlos weg! Nein umgekehrt! Ich möchte immer mit dem Fuß aufstampfen und dann weggehen! Aber ich bleibe stehen, werde sofort wahnsinnig wütend und sage: »In diesem Lande funktioniert nichts!« Ich halte das Ganze für eine Riesen-Unverschämtheit! Denn man muß sich das einmal vorstellen! Ein Automat sagt zu mir: »Bitte, passend zahlen!« Und wenn ich es nun nicht passend habe! Dann muß ich überall rumlaufen, um mir das Geld passend zu machen. Am Ende muß man wahrscheinlich auch noch das Papier für die Fahrkarte mitbringen! Ich gebe zu, ich bin in solchen Momenten außerordentlich gestört bis verstört, und meine Schimpferei hat bestenfalls theatralische Qualität. Und trotzdem begreife ich mein Verhalten nie: Anstatt ganz ruhig zu bleiben, um mich den Gegebenheiten anzupassen, tobe ich herum. Woran mag das liegen? Wissen Sie auch nicht, oder? - Wie Iwan der Schreckliche -! Ich könnte den ganzen Bahnhof sofort schließen lassen, so beleidigt bin ich. Weil der Automat zu mir sagt: »Bitte, passend zahlen!« Und ich kann noch nicht mal zurücksagen: »Du kannst mich mal!« Gut, ich kann an einen Schalter gehen. Aber die meisten Schalter sind um meine Zeit geschlossen, die meisten Schalter sind immer geschlossen! Und die Schlangen stehen bis in die Altstadt! Das ist eine bodenlose Flegelei! Das kommt wohl daher, weil die armen Schaffner auch noch zusätzlich in der 1. Klasse Kellner spielen müssen! Was die manchmal für Balanceakte vollführen müssen! Das sind Geschichten, die ich nie begreife, obwohl ich sie täglich erlebe! Ich bin von Hause aus eigentlich Melancholiker, aber da könnte ich zum Choleriker werden! Genauso, wenn ich manchmal an meinen Jacken feststelle, daß ein Faden heraussteht. Da werde ich rammdösig! Faden ziehen nennt man das, glaube ich! Also, da möchte ich am liebsten den Faden sofort abschneiden! »Halt!« schreit dann alles um mich herum. »Man macht das Futter auf und zieht den Faden wieder nach innen!« Ich begreife das alles nicht! Und Sie werden sicher sagen: Dem seine Sorgen möchte ich haben! Nein, ich will nicht klagen! Im großen und ganzen - wie gesagt - geht es mir ja gut! Nur im kleinen habe ich manchmal so Schwierigkeiten! Und wenn man das »Kleine« nicht verarbeitet, gibt es - glaube ich - im »Großen« und »Ganzen« manchmal die Katastrophen! Und kein Mensch weiß am Schluß, wo das herkommt!
 
 
 
© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Es kommt immer was dazwischen" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnung stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.