Russisch Roulette

Vom Bahnfahren und anderen Unannehmlichkeiten

von Frank Becker

Russisch Roulette


Wenn einer eine (Bahn-)Reise tut, dann kann er was erleben. Das wissen Reisende und Daheimgebliebene aus eigener Erfahrung oder durch Testreports über kryptische Preisgestaltungen, konfuse Schalterauskünfte oder Berichte über Pannen und notorische Verspätungen. Für diejenigen, die auch heuer wieder zu Hause geblieben sind, weil sie sich dem Stress des Massenstarts in die Ferien weder mit dem Auto noch mit dem Zug aussetzen wollten, ein paar nicht unbedingt erbauliche Szenen aus dem täglichen Bahnfahrer(er)leben – dennoch zur Erheiterung des Lesers und zur ernsten Mahnung an die Bahn und ihren sogenannten „Chef“.


Ein paar Stündchen ist der Reisende schon unterwegs, hat sich in einem laut Auskunft völlig ausverkauften, de facto aber fast leeren Abteil der 1. Klasse seines ICE einen bequemen Platz gesucht und es gelüstet ihn nun nach einer Tasse Kaffee. Eine Broschüre weist auf den Service und den dazu gehörigen Ruf-Knopf hin. Der Knopf wird betätigt. Im Laufe von 10 Minuten mehrfach. Nichts. Dann eine Schaffnerin. Ein kurzer Dialog entspinnt sich. Fahrgast: „Sagen sie bitte, reagiert eigentlich auf den Service-Ruf irgendwann jemand?“ Schaffnerin: „Net unbedingt – möchten´s denn was?“ Toll!

Auch ein weiterer Dialog mit einer Schaffnerin sei dem Leser nicht vorenthalten. Die Vorgeschichte: Der pünktlichen Abfahrt des ICE 515 in Wuppertal folgt schon in Köln die Ernüchterung. „Wegen zu später Bereitstellung von Zusatzwaggons“ (die dort turnusmäßig angehängt werden) „fährt“ der schnellste unserer Züge auf dem Kölner Bahnhof stehend eine Verspätung von 16 Minuten ein. Ja wissen die denn nicht, daß der Zug einen Fahrplan hat? Oder ist es schlicht egal? Fahrgast (etwas beunruhigt): „Holen sie die Verspätung irgendwie auf?“ Schaffnerin (locker): „Das hängt davon ab, ob noch was passiert.“ Fahrgast (nervös): „Was kann denn noch passieren?“ Schaffnerin (sibyllinisch): „Das weiß man nie!“
Sie glauben das nicht? Habe ich selbst erlebt!

Daß im IC 502 an einem der heißesten Tage des Jahres die Klimaanlage ausfiel und im gebuchten Abteil die Temperatur bei 40° Celsius lag, in dem Abteil, in das ich dann floh, noch immer bei fast 30° und man natürlich in so einem modernen Zug kein Fenster öffnen kann, sei am Rande erwähnt. Immerhin teilte das ebenso leidende Zugpersonal nach einiger Zeit ein wenig Mineralwasser an die aufgelösten Fahrgäste aus.
Ausgesprochen unerfreulich auch, daß es bei der Bahn noch immer Schaffnerinnen nach VoPo-Vorbild (sächsischen, wie damals) gibt, von denen man sich als Schwerverbrecher behandeln lassen muß, wenn man es in der Hetze eigener Verspätung mit schwerem Gepäck nicht geschafft hat, die gelöste Karte auf dem Bahnsteig zu entwerten und sie bittet, das zu erledigen. Wer will sich als seriöser Kunde schon von einer unterprivilegierten Megäre in Uniform anschnauzen und nach allen Regeln des schlechten Benehmens zur Sau machen lassen? Nun, die Bahn hat sich später dafür entschuldigt.

Irgendwann hat die Bahn nach massiver und berechtigter Kritik zu einem neuen (fast alten) Preisgefüge gefunden und ließ es von TV-Witzbold Harald Schmidt bewerben, der schon das vorige System nicht zum Erfolg kalauern konnte. Es hat nichts gebracht. Mittlerweile ist es wieder teurer geworden, Züge zu benutzen, und neue Preiserhöhungen stehen abermals ins Haus. Auch die Pünktlichkeit des Monopolbetriebes „Bahn“ hat sich nicht verbessert. Das Bahnfahren ist auf Dauer zu einer Art Russisch Roulette geworden. Es spricht doch schon Bände, wenn man sich bereits ein verzweigtes Entschädigungs-System für Zugverspätungen ausdenkt, anstatt dafür Sorge zu tragen, daß die Züge einfach pünktlich sind. Auch das morgendliche Verteilen von Frühstückstüten an Fahrgäste im Hauptbahnhof Köln (damit die voraussichtlich wieder verspätet beförderten Bahnbenutzer nicht während der Wartezeiten entkräftet zusammenbrechen?) ist als  so verzweifelter wie vergeblicher Vesuch der Ablenkung von den drängenden Problemen zu betrachten.
Dazu kommt jetzt noch der Unsicherheitsfaktor, ob und wann eventuell der völlig durchgeknallte GdL-Prophet Manfred Schell seine Lokomotiv-Chauffeure in den Dschihad gegen Betonkopf Hartmut Mehdorn hetzt. Der Leidtragende ist dann wie immer der (zahlende) Kunde.

Wo ist die schöne Zeit geblieben, als Eisenbahn fahren ein Vergnügen war, der Fahrkarten-Schalter so hieß und nicht „Ticket-Counter“ oder „Service Point“, Auskünfte über Preise und Fahrzeiten verläßlich waren, die Bahn nicht nur durch die berühmte „Eisenbahner-Uhr“ der Inbegriff der Pünktlichkeit war und der Schaffner ein höflicher Mensch? Das warzu der Zeit, als der Komponist Peter Igelhoff dem D-Zug-Führer ein fröhliches Liedchen widmete – lang, lang ist´s her... 

Harald Schmidts Reklame für Instant-Kaffee aber war wirklich gut.