Istanbul

von Konrad Beikircher

Foto © Michael Brüggemann / pixelio.de

Istanbul
 
An einem milden Abend am Bosporus im Garten eines Restaurants sitzen, sich mit Freunden, die des Deutschen mächtig sind, gepflegt unterhalten (Danke, Serdar!), wunderbare Speisen auf dem Teller haben und den Blick über das Wasser nach Asien schweifen lassen – mehr geht nicht. Istanbul ist heute mehr denn je die Drehscheibe zwischen Okzident und Orient, zwischen Abendland und Morgenland und läßt gerade deshalb an jeder Ecke die Risse erkennen, die diese Spannung zwischen Fortschritt und Tradition auftut. Wann werden die Europäer verstehen, daß in dieser wunderbaren Stadt der Schlüssel zu einer verträglichen Zukunft mit der islamischen Welt liegt. Istanbul ist der Schlußstein, mit dem endlich eine heillose Entwicklung friedlich und positiv beendet werden kann, die mit dem oströmischen Reich begonnen hat, während der Kreuzzüge den Tiefpunkt an Demütigungen erdulden mußte und seit Atatürk sich zur Mittlerrolle bekennt. Europa hat es dieser Stadt und ihren Menschen nicht gedankt. Langsam fangen wir an zu begreifen, wie wichtig diese Perle für uns alle ist. Deshalb ist es so wichtig (und spannend sowieso) zu wissen, wie sie denn sind, die Menschen „da unten“, denn in Kreuzberg sind andere. Das aber kann uns nur die Literatur erzählen, so wir sie denn lesen!
 
Darf ich hier Publius Ovidius Naso mit ein paar Zeilen in Erinnerung rufen, Zeilen, die damals bestimmt die reiferen Damen an den Stränden vom Schwarzen Meer aufgesagt haben, ob in Tomi oder in Nesebar, egal:
 
Reife Genüsse
 
Der Mann und die Frau:
beide sollen im selben Maß
an der Entspannung sich freuen.
Grauenhaft, wenn nach der Liebe
nicht beide Entspannung empfinden.
Das ist auch der Grund dafür, daß
ich auf Liebe mit Jungs nicht so steh’.
Grauenhaft, wenn sie Dich läßt,
bloß weil sie denkt,
sie muß Dich halt lassen.
Und trocken den Reim Dir verweigert:
sie denkt nicht ans...
nein, sie denkt nur ans Stricken!
Lust aus preußischer Pflicht:
darauf kann ich gut verzichten.
Keine soll bei mir denken:
„na gut, wenn’s denn sein muß...“
Ich will sie hören, die Laute:
das Gurren, das Stöhnen,
die ihre Lust mir verraten.
„Warte noch“, „Halt es zurück“
Das soll sie mir sagen.
Den Blick will ich sehen:
matt und besiegt, wenn sie
völlig ermattet dann da liegt,
ausgelaugt soll sie sein
und mir sagen: „Nein,
faß mich ein Weilchen nicht an!“
Das sind, allerdings, schon Genüsse
welche die Jugend nicht hat,
solche kennt nur das reifere Alter.
Wer keine Zeit hat, der mag sich
am jungen Wein freuen,
ich bin da mehr der Gourmet
und genieße nach Jahrgang:
je älter, je lieber.
Drängt es Dich also,
die goldenen Früchte zu pflücken,
die reifere Liebe bereithält,
dann lasse Dir Zeit:
Du wirst’s nicht bereuen!
 
 
Publius Ovidius Naso, Buch II 682-702
(neu übersetzt von Konrad Beikircher)

Redaktion: Frank Becker