Rhein und wahr - Über Brezeln, Greise und den Haxtergrund

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Über Brezeln, Greise
und den Haxtergrund



1. Mai: Eine Trennwand ist endgültig: Sie trennt das Davor vom Dahinter, sie trennt auch den Frühling vom Winter, sie trennt selbst Nichtraucher vom Raucher, sie trennt auch den Haifisch vom Taucher. Sie trennt Gut von Böse und Gut dann von Gut, denn zu viele Gute das gibt böses Blut. Sie trennt Männer Frauen, doch will man mal schauen, gibt es dann Löcher, heimlich gebohrt, dann löscht man die Trennung, als wär´ es ein Sport. Die Trennungsverengung  erweitert den Blick, denn zu viele Weite bekommt Enge nicht.
 
3. Mai: Mein liebster Ort auf der ganzen Welt ist der Haxtergrund in Paderborn. Ich kenne viele Plätze in der Welt. Auf manchen habe ich mich sogar geküßt. Ich kenne den Walraffplatz in Köln, den Domplatz in Münster. Ich war in Hamburg und Oberhausen, aber immer wieder zieht es mich in den Haxtergrund nach Paderborn. Ich habe mal gesagt: „Wenn es im Paradies nur halb so schön ist, wie im Haxtergrund in Paderborn, dann hat sich mein gottesfürchtiges Leben gelohnt.“ Und so etwas sage ich sonst nur, wenn ich betrunken bin und Heimweh habe.
 
4. Mai: Kölner Notizen: Habe fast eine Stunde totzuschlagen. Beschließe zum Merzenich Bäcker zu gehen, obwohl ich kein Brot brauche. Kaufe mir aber schließlich doch einen Kirschstreuselkuchen und einen Käseapfelkuchen. Das war ein Fehler. Natürlich trinke ich auch einen Kaffee, obwohl es kein Filterkaffee ist, aber man kann nicht alles haben. Man kann froh sein, wenn das Glück dem ähnelt, was man mal dafür gehalten hat. Ich finde einen Sitzplatz, der direkt an dem Fenster ist, aus dem man auf die kleine Gasse schauen kann. Schnell werde ich abgelenkt, doch nicht vom Treiben der Kölner Flanierer, sondern von einem kleinen Fernsehbildschirm, der über der Glasfront angebracht ist. Schnell begriff ich die Handlung des kleinen Kunstfilms. Ein Merzenichbäcker präsentierte mit einigen geschickten Handgriffen die Herstellung einer Nougatbrezel. Man sieht nur flinke Hände und geduldigen Teig. Schnell nimmt mich die Handlung gefangen. Wie der Bäcker den Teig knetet, füllt und schneidet, rührt mich. Wie die Brezel schließlich gerollt, geformt und auf Blechen platziert wird, ist höchster Augengenuß. Ich sehe den Kurzfilm genau 73 mal und hätte ihn gerne noch weiter betrachtet, wenn mich nicht ein wichtiger Termin mit einem WDR-Mitarbeiter gezwungen hätte, den Ort der Freude zu verlassen. Wie wenig man doch braucht, um einen guten Film zu drehen. Man muß nur etwas zu zeigen und zu sagen haben. Ich Nachhinein ärgere ich mich, dass ich mir keine Nougatbrezel gekauft habe. Es ist auf jeden Fall sonderbar einen Kirschkuchen zu essen und dabei von einer Nougatbrezel zu träumen.
 
6. Mai: Für immer jung: Kürzlich aß ich im Westfalenhof. Es ist schon anrührend, zwischen alten Mitbürgern zu sitzen und an die Sterblichkeit erinnert zu werden. Manche haben ein Lätzchen um, andere werden in ihrem Rollstuhl gefüttert. Viele schreien sich an, weil ihr Gegenüber sie sonst nicht wahrnehmen würde. Man hat die Seniorenresidenz bewußt für die Allgemeinheit geöffnet, um den alten Menschen das Gefühl zu geben, sie wären Teil einer Gemeinschaft. Ich sage gerade, man hat die Seniorenresidenz bewußt für die Allgemeinheit geöffnet, um den alten Menschen das Gefühl zu geben, sie wären Teil einer Gemeinschaft. Im Grunde waren wir Gäste nur Dekoration und Hintergrund. Vielleicht fehlt dem Essen auch deshalb oft das Salz. Während man aß, lief aus den Deckenlautsprechern Musik. Ein harmloser Sender war eingestellt worden, der harmlose Musik präsentierte. Ich vermutete, dem WDR 4 zu lauschen. Plötzlich hielt ich inne. Ich kannte das Musikstück. War das nicht der Hit der Gruppe Alphaville? Tatsächlich, während wir an den großen Tischen saßen und aßen, dudelte die Musik von „Forever young“ aus den Boxen. Ich schaute mich um. Ich schien als Einziger bemerkt zu haben, wie beziehungsreich die Musik unseren Dämmerzustand verhöhnte. Warum stand niemand der Alten kreischend auf und rupfte sich die grauen Haare? Warum erbrach sie niemand der Senioren und tat irgendetwas Respektloses und Unvorhergesehenes? Ich stellte mir vor, wie jemand aus dem Kreis der wilden Greise die Dame an meinem Tisch zum Tanz auffordern würde, um sie dann elegant und erregt durch den Raum zu treiben. Als die Musik vorüber war, schaute ich mich enttäuscht um. Die Möglichkeit der Veränderung war ungenützt vorüber gegangen. Ich trug einfach mein Tablett zur Essensausgabe und stellte es dort ab. Man macht schon was mit, und vielleicht lügt Pop. Vielleicht ist das jung sein auch nur zu ertragen wenn man jung ist. Vielleicht ist Salz im Essen auch nicht so wichtig. Pop ist Lug und Trug und Alphaville kamen ja auch aus Münster. 
 
11. Mai: Ich bin überrascht, wie durch häufiges Treffen selbst unangenehme Menschen  zu ertragen sind. Ich bin überrascht, wie durch häufiges Treffen selbst unangenehme Menschen zu ertragen sind. Ich bin überrascht, wie durch häufiges Treffen selbst unangenehme Menschen zu ertragen sind. Ich bin überrascht, wie durch häufiges Treffen selbst unangenehme Menschen zu ertragen sind.



© 2013 Erwin Grosche für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker