Ein Novembertag in Berlin

"Es tut mir leid" - Fotografien von Jochen Viehoff

von Frank Becker

Menschenleer

Die Riesenstadt Berlin, die pulsierende, aufregende, hinter jeder Straßenecke neue Metropole, die seit ihrer Wiedervereinigung nicht aufhören kann zu wachsen und fast täglich ihr Kleid zu wechseln, wurde für einen trüben Novembertag Objekt für die Kamera des Fotografen Jochen Viehoff.


Der Blick fürs "Daneben"


Von Jochen Viehoffs früheren Arbeiten her, ich denke hier vor allem an seinen Bildband über das Bayreuth abseits des Trubels der Wagner-Festspiele, wissen wir, daß er es liebt, am "Motiv" vorbei zu fotografieren und genau dadurch Den Blick für das "Daneben" zu öffnen. So hat er es auch bei seinem Bildband über Berlin gehalten, dessen Titel er einer Glastür am Studentenwohnheim Iranische Straße entlehnt hat. Dort hat jemand eben diese entschuldigende Bemerkung eingeritzt.

Karl-Marx-Allee © Jochen Viehoff

Peter Grabowski nimmt in seinem einleitenden Text den Faden auf, nennt Berlin ein "großes Es tut mir Leid". Das kann man dem Wuppertaler nicht übel nehmen, er wird es nicht besser wissen, wenn er auch als Berlin-Besucher und Wedding-Wanderer apostrophiert wird. Wer Berlin wie Elke Heidenreich a priori mit einer gewissen Abneigung betrachtet, wird zu keinem anderen Schluß kommen können, wird die nebelverhangenen, beinahe menschenleeren Bilder, die Jochen Viehoff an einem einzigen Tag in der Mehrzahl im Osten der Stadt eingefangen hat, gerne als pars pro toto nehmen.

Momente des Stillstands

Viehoff hat Berlin im Herbst 2003 in wenigen Momenten fotografiert, in denen die Welt stillzustehen inne zu halten schien. Auch das ist Berlin: eine sich im Novemberwind entlaubende Allee, die öde Steinwüste entlang der Karl-Marx-Allee/Otto-Braun-Straße, die Abgeschiedenheit der Hackeschen Höfe, ein übriggebliebener DDR-Wachturm... Bilder, die in ihrer Tristesse beinahe weh tun. Wer die Stadt aber wirklich kennt, wird ihr diesen Lapsus bestimmter Ecken in gewisser trüber Stunde

Schiffbauerdamm © Jochen Viehoff
verzeihen. Berlin ist ein großer Organismus, der mal heftig, mal leise atmet. Berlin ist schön. Die "Sommersprossen", die Hildegard Knef dem Gesicht der Stadt bescheinigt, sind ihr Charme. Jochen Viehoff hat eine Tür zu einem kleinen Ausschnitt aufgetan.
Auch der gehört dazu. Die Menschen der Stadt hat er vorsichtig ausgeklammert. Berlin ist voller Menschen und laut - umso willkommener sind die Nischen, in denen es wie bei einem Herbstspaziergang im kühlen November leer und leise ist.


Ahornsteig © Jochen Viehoff

"Es tut mir leid"
, Ein Novembertag in Berlin - Fotografien von Jochen Viehoff mit einem Text von Peter Grabowski. 60 Seiten, geb. 24 x 17 cm Querformat mit ca. 40 Farbtafeln
© 2006 HP Nacke
ISBN: 3-9808059-9-9