Zartsüße Fürbitten

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker


Zartsüße Fürbitten
 
für den Bäcker unseres Dorfes,
damit er wieder mit seinem Wagen in unsere Siedlung fährt
und uns weiterhin beliefert mit seinem Brot und seinem Kuchen
 
Ich war es, der auf dem Nachhauseweg immer gesungen hat: „Bäckerbrot macht Mäuse tot!“, das war nicht richtig. Ich hätte natürlich singen müssen: „Bäckerbrot macht Wangen rot!“ Es tut mir sehr leid. Lieber Bäcker, wir bitten dich, ernähre uns. Wir bitten dich, ernähre uns.
 
Mist, mir fehlt dein Apfelkuchen so. Wenn es sich hier keiner traut zu sagen, dann sage ich es: Mir fehlt dein Apfelkuchen so. Du weißt gar nicht, was wir in den letzten Wochen durchgemacht haben, Mehr kann ich dazu nicht sagen. Lieber Bäcker, wir bitten dich, ernähre uns. Wir bitten dich, ernähre uns.
 
Ich habe deine Brötchentüte aufgeblasen und sie genau dann zerplatzen lassen, als du um die Ecke kamst mit deinem Blech voller heißer Berliner. Das soll nicht wieder vorkommen. Lieber Bäcker, wir bitten dich, ernähre uns. Wir bitten dich, ernähre uns.
 
Ich habe den blöden Vorschlag gemacht mit der Tortenschlacht. Ich wußte doch nicht, daß sich alle daran beteiligen würden. Ich bin doch selbst der Geschädigte. Die Herrentorte, die meine Mutter bei dir bestellt hat, hing doch mir im Gesicht und hätte so gut geschmeckt, wie ich teilweise nachvollziehen durfte. Lieber Bäcker, wir bitten dich, ernähre uns. Wir bitten dich, ernähre uns.  
 
Ich war es, der gesagt hat: „Dein Brot ist manchmal hart, die Wände haben Risse, zum Schneiden braucht man einen Bohrer.“ Nun weiß ich es besser, Brot ist nicht hart - kein Brot, das ist hart. Lieber Bäcker, wir bitten dich, ernähre uns. Wir bitten dich, ernähre uns.
 
Ich habe das grinsende Gesicht an die beschlagene Brotwagenscheibe gemalt. Ich war es auch, der daneben geschrieben hat: „Wer das liest, ist doof.“ Ich konnte doch nicht wissen, daß du es lesen würdest. Es soll nicht wieder vorkommen. Lieber Bäcker, wir bitten dich, ernähre uns, Wir bitten dich, ernähre uns.
 
Lieber guter Bäckersmann, schau dir mal mein Bäuchlein an, gibt es bald nicht wieder Brot, holen wir den Robin Hood.
 
Lieber Bäcker, deine Hochzeitstorten waren doch der Grund, warum Ilona und ich überhaupt geheiratet haben, nun haben wir auch einen kleinen Stutenkerl, der die gleichen Augen hat wie du. Wenn es keinen Streuselkuchen mehr geben würde, ich wüßte gar nicht, was ich machen sollte ohne Streuselkuchen. Nein wirklich, ein Leben ohne Streuselkuchen, das ist genauso, als würde man … wie bist du nur auf die Idee mit den Rosinen gekommen? Verdammt, wir sind doch alle ganz durcheinander, meine Freundin zwingt mich inzwischen, Bäckerhosen zu tragen. Scheiße, ich kann mir ein Leben ohne Streuselkuchen einfach nicht mehr vorstellen.
 
Lieber Bäcker, wir bitten dich, ernähre uns. Wir bitten dich, ernähre uns.
Denn dein ist der Teig, die Kraft und das Mondamin. 
 
 
 
© Erwin Grosche