Ein großer Opernabend

Macbeth - erfolgreicher Start in die Essener Nach-Soltesz-Ära

von Peter Bilsing

Gun-Brit Barkmin - Foto © Matthias Jung, Aalto Theater

Macbeth - erfolgreicher Start in die Nach-Soltesz-Ära
 
Premiere am 19. Oktober 2013
 
Ein großer Opernabend
 
Vielen Unkenrufen zum Trotz geht es in Essen am Aalto auf hohem Qualitätsniveau weiter. Sehr beeindruckend startete die neue Saison mit MACBETH, sowohl im Schauspiel als auch in der Oper; ein sehr vernünftiges Zusammenspiel der Gattungen. Auf der Musiktheater-Bühne in der bedrückenden, geradezu kafkaesken, Inszenierung von David Hermann. Das Premierenpublikum erlebte großes Theater, wobei der Regisseur das Musik-Drama geradezu kammerspielartig reduzierte und alles überflüssige Brimborium verbannte - eine ungeheuer dichte, bestechende Arbeit.
 
Man verzichtet auf all zuviel plakatives Morden und Gemetzel zu "fröhlicher" Musik, zumindest auf der Vorder-Bühne; die Hexen sind nur vokal präsent, es gibt gottseidank kein Ballett (Urfassung) und sogar die Ermordung Banquos wird vom wahnsinnigen Macbeth alleine vollbracht. Höchst beeindruckend singen am Ende die Chöre aus dem Rang - und das Regieteam läßt sie zum Finalakt (was im Aalto schon fast Kriterium ist) über den breiten Mittelsteg durchs Auditorium einmarschieren. Die grandiose, unvergleichliche Akustik des Prachtbaus gibt solchen Spielereien ernsthaften Raum und Fundament. Das klangliche Erlebnis ist jedes Mal wieder neu verblüffend und beeindruckend.
Im Vordergrund der düsteren, mit Herbstlaub bedeckten Einheitsbühne steht eine steinerne Opferbank; rechts eine Brücke über einer kreisrunden Bodenöffnung, aus dem sich fast majestätisch unheimlich schon in der Hexenszene des Anfangs ein gewaltiger Baumstumpf mit horrendem Wurzelwerk erhebt. Christoph Hetzer schafft das Milieu und Ambiente einer Gothic Novel; Nebelschwaden und dräuende Finsternis werden genial ausgeleuchtet, und wenn sich ein riesiger unheimlicher Kubus über den Brunnen senkt, dann spiegeln sich darin (fabelhafte Videografie von Martin Eidenberger) Projektionen surrealer Linien, Verzweigungen und Masken; gespiegelte Seelen- und Wahnzustände der Protagonisten.
 
Alles in allem eine sehr ernsthafte und hochkünstlerische Umsetzung, die den Ansprüchen an zeitgemäßes Musiktheater auch mit einem konservativen Bühnenrahmen voll gerecht wird; eine durchaus maßstabsetzende Inszenierung. Vergleichbar Beeindruckendes habe ich nur vor 30 Jahren an der Rheinoper vom jungen Günter Krämer erlebt.
Daß der neue GMD Tomas Netopil sich übermächtig ins Zeug legen würde, war erwartete Ehrensache bei diesem großen Vorgänger (Stefan Soltesz), daß es aber ein so genialer Abend werden sollte, hatte kaum jemand erwartet. Verdi vom Feinsten! Dem sich auch der Opernchor unter Alexander Eberle, prächtig wie immer, anschloß.
Gun-Brit Barkmin entsprach als junge und hübsche Frau natürlich nicht in notwendiger Weise den "antiken" Ansprüchen der altvorderen Altar-Verdianer, von denen sich einige auch am Ende zu Buhs herabließen. Es gibt leider immer noch zu viele Opernfreaks, die den Tod von Callas & Pavarotti scheinbar noch nicht zur Kenntnis genommen haben und die weiterhin, geprägt von Gewaltgesang und matronenhaftem Körperoutfit der alten alten Rampensängerinnen, deren stimm-mordenden Gesangsstil ewiglich frönen werden und zu ihrem Maßstab machen.


Foto © Matthias Jung, Aalto Theater
 
Bei eben diesen, böse gesagt "Stimmpornofans" hat diese junge Sängerin keine Chance. Ich finde aber, daß sie es gut gemacht hat; natürlich in den Spitzentönen grenzwertig, denn mit dieser Partie kann man eigentlich nur seine Stimme ruinieren. Die tiefen und mittleren Lagen beherrschte sie klangschön, überzeugend und relativ sicher, aber was mich mehr beeindruckte, war ihre ungeheure Bühnenpräsenz und Darstellungskunst. Selten hat jemand die Paranoia der Lady so menschlich überzeugend und realistisch dargeboten.
In den kompetenten Händen von Tommy Hakala (Macbeth) und dem alles überragenden Liang Li (Banquo) waren die anderen Hauptpartien glänzend aufgehoben, was die durchaus verbesserungswürdigen Sangesleistungen einiger Comprimarii durchaus kompensierte.
 
Fazit: Ein düsteres Gesamtkunstwerk, in welchem das ganze menschliche, erschütternde Elend in Form von Gier, Mord, Wahnsinn, Blutrausch und Machtgelüste kongenial in Bilder umgesetzt wird. Ein unter die Haut gehendes, brennend intensives Erlebnis eines Musiktheaterabends - kein Opernabend für Rampensteher-Fans und Anhänger zu bravierende Arienschmetterei - einfach nur große, ehrliche zeitgemäße und werktreue Oper. Bravi per tutti!


Redaktion: Frank Becker