Lieder eines Sünders. 16 Das verlorene Paradies
Es hat die Dirne mich geküßt:
Da ward ich von süßem Taumel trunken, – Und als ob es Frau Venus selber wär', Bin ich ihr an die wildwogenden Brüste gesunken . . . Es hat die Dirne mich geküßt, – Ihre reifrothen Lippen auf den meinen erblühten – Da vergaß ich die harte Noth und den Tod Und meiner Mutter liebfrommes Behüten . . . Es hat die Dirne mich geküßt – Da war's mir, als quöllen Flammenbäche Wie der Hölle Sengstrom durch meinen Leib, – Als ob bacchantische Brunst mir den Schädel zerbreche! . . Es hat die Dirne mich geküßt – Schluchzend lag ich vor ihr im Staube – Da war's mir, als stürbe der Gott in mir, Als stürb' an sündlose Lieb' mir der Glaube. Es hat die Dirne mich geküßt, Da wußt' ich, daß ich die Seele verloren – Da wußt' ich, daß ich dem Schacher gleich, Meine Seele der Hölle zugeschworen! . . . Es hat die Dirne mich geküßt – Wohl trink' ich in ihren Armen Wonne – In meinem Herzen aber ist Finsterniß, Und verdorrt ist mir des Glückes Bronne! . . . Verdorrt ist mir der lebendige Muth, Für meine Brüder die Gasse zu bahnen, – Zerbrochen hab' ich die blitzende Wehr, Zerbrochen die wurfzerfetzten Fahnen . . . Seitdem die Dirne mich geküßt, Kann ich nur ihr gehör´n zu eigen. In Brünsten umklammre ich den weißen Leib Und küsse sie – und der Rest ist Schweigen. Hermann Conradi
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