Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q

Jussi Adler Olsen – „Erwartung“

von Frank Becker

Bedrückend, doch brillant
 
Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q
 
Die Genre-Bezeichnung „Thriller“ trifft den Nagel auf den Kopf. Denn Jussi Adler Olsen gelingt es in seinem jüngsten Roman, mit permanent hohem Tempo eine Spannung aufzubauen, die man bei Filmen mit „Lehnenkraller“ bezeichnen würde. Zugleich entwickelt er sein Personal, die eigenwilligen Charaktere, die er zu der effektiven Ermittlergruppe des Sonderdezernat Q zusammengeschweißt hat und sein persönliches Umfeld intelligent weiter. Adler Olsen fesselt den Leser geschickt an die fallbezogenen wie an die persönlichen Erzählstränge und führt elegant frische Figuren wie den neuen Kripo-Chef Lars Bjørn, dessen Protegé Gordon, die attraktive Bibliothekarin Lisbeth und den Drogenfahnder Mikkel Øst ein, die erwarten lassen, daß man künftig von ihnen hören wird.
 
In Afrika und Dänemark verschwinden Männer, die auf Unregelmäßigkeiten eines von der dänischen Regierung finanzierten Entwicklungsprojekts gestoßen sind. Schnell wird klar, daß Gelder unterschlagen wurden und daß sowohl Ministerialbeamte als auch die Spitze der Karrebæk-Bank darin verwickelt sind.
Marco, ein fünfzehnjähriger Junge ohne wirkliche Identität, fristet sein Leben in einem Clan von rechtlosen Dieben, Einbrechern und Bettlern, die von ihrem brutalen Anführer Zola, der auch vor Mord nicht zurückschreckt, mit körperlicher Bestrafung kontrolliert und zu ihren Taten gezwungen werden. Die Bande ist von Italien aus über verschlungene Wege nach Dänemark gelangt, wo Zola sich des skandinavischen Wohlstands der liberalen Gesetze und des Ausgeliefertseins seiner „Familie“ bedient. Marco flieht und verschafft sich ein neues illegales Leben in der Illegalität. Als er dabei in der Nähe von Zolas Haus in Kregme auf eine Leiche stößt, deren Identität ihm später durch einen Plakatanschlag klar wird, beginnen die Fäden zusammenzulaufen.
Auf der Suche nach dem Mörder stoßen der physisch und psychisch angeschlagene Vizekommissar Carl, der immer souveräner agierende Assistent Assad (den ein Geheimnis mit Lars Bjørn verbindet) und die sich als prima Außenermittlerin zeigende Sekretärin Rose auf die schmutzigen Machenschaften von beamteten Dieben, skrupellosen internationalen Finanzspekulanten, ausgebeuteten Kleinkriminellen und Bandenstrukturen, die bis hin zum Auftragsmord alles „erledigen“.
 
Adler Olsens Erzähltempo nimmt den Atem, man fiebert mit, vor allem mit dem Schicksal des als Sympathieträger aufgebauten Marco, man nimmt an den Niederlagen Carl Mørcks, seiner neu erwachten Leidenschaft, an dem marginalen und doch sensationellen Fortschritt seines gelähmten Freundes Hardy teil, man rätselt weiter, wer nun wirklich Assad ist und was die schrille Rose noch so an durchaus positiven Überraschungen zu bieten hat. Es ist dem Autor hoch anzurechnen, daß er auf die Machenschaften von Bankern deutet, aber auch ungeschminkt, wenn auch mit anderer Identität die organisierte Kriminalität von Mittel- und Nordeuropa überschwemmender

Jussi Adler Olsen - Foto © Jürgen Kasten
(süd)osteuropäischer, vor allem bulgarischer und Rumänischer Bettler- und Diebes- und Einbrecherbanden beschreibt.

Es sind 568 Seiten zwar bedrückender, doch brillant konstruierter Unterhaltung, die man fiebernd verschlingt, wenn man sie auch des Umfangs wegen nicht an einem Tage „weglesen“ kann. U
nd daß Carl und seine Truppe am Ende sogar ein wenig am Gesetz vorbei menscheln, gibt der Sache einen sehr sympathischen Anstrich.
Mal wieder ein echterAdler-Olsen. Die Titelwahl bleibt allerdings kryptisch.
 
Jussi Adler Olsen  - „Erwartung“ (Der Marco-Effekt) - Thriller
Aus dem Dänischen von Hannes Thiess
© 2013 dtv premium, 568 Seiten, gebunden, mit Schutzumschlag und Lesebändchen - ISBN 978-3-423-28020-4  -  17,90 € [D] 20,50 € [A]  - 27,90 sfr

Weitere Informationen unter:  www.dtv.de