Assoziationsketten

Thomas Reis erreichte sein Lenneper Publikum nur schwer

von Frank Becker

Foto: Veranstalter
Assoziationsketten
 
Thomas Reis erreichte sein Lenneper Publikum nur schwer
 
 
Zweieinhalb Stunden können für einen Künstler sehr lang werden, wenn seine exzellente wortgewaltige Vorstellung auf eine Zuhörerschaft trifft, die vielleicht etwas anderes erwartet hat. So geschehen am vergangenen Freitagabend in der Lenneper Klosterkirche, wo Thomas Reis mit seinem Programm „Und sie erregt mich doch“ die Brücke zum Publikum im nur schwach besetzten Saal kaum schlagen konnte.
 
Der Haken, an dem der eloquente Assoziationsketten-Knüpfer und Wortschöpfer im Spiel mit Dialekten - köstlich ein Exkurs über die landschaftlich unterschiedlichen Antworten auf die Frage „Wie geht´s?“ - und bekannten Stimmen die Welt aufhängt, ist die Liebe, der Autist unter den Emotionen, sein Kernthema. Daß er dabei auch den blanken Sex und die verbale Erotik nicht ausspart - man weiß das -, zieht Publikum. Das aber möchte er nicht aus der Ecke Mario Barths haben, der mit „Männer sind primitiv – Frauen auch“ wie weiland Joseph Goebbels punktet. Diesen Vergleich muß Barth sich gefallen lassen. Vielleicht nimmt er es ja als Kompliment. „Und wieder das Olympiastadion voll“, konstatiert Thomas Reis dazu unmißverständlich.
 
Buchstabiert er dann aber dem falschen Publikum ein durchaus saftiges, unzensiertes erotisches Alphabet, jedoch mit Karl Jaspers, Sigmund Freud, Ludwig Wittgenstein und Karl Popper, muß das an seinem fkussierten Ziel vorbeischießen, verpuffen Pointen im Nirwana des Unverständnisses. So wurde denn im Saal ungeniert geschwätzt und gelegentlich fiel auch ein Bierglas um. Hier wäre Mario Barth (Gott steh´ uns bei!) eher angekommen. Apropos Gott, den läßt Reis milde zu Wort kommen, dessen literarischen Kollegen Marcel Reich-Ranicki hingegen mit gewohnter Schärfe. Manche mögen es für eine Unterstellung halten, daß Gott bei der Erschaffung der Welt besoffen gewesen sei. „Warum aber“, fragt Thomas Reis, „heißt dann das Gottesteilchen `Hicks΄?“
 
Politisch tagesaktuell echauffiert er sich angemessen über die Aasgeier der Rating-Agenturen, über die Geschäfte der Banken, verfehlte Entwicklungshilfe, die er Sterbehilfe nennt und „faire“ Designer-Jeans aus „Fairnost“. Datenschutz ist für ihn ein Begriff aus der Paläontologie der Informatik, und moralische oder anthropologische Fragen handelt Reis durchaus passend im Tonfall Bernhard Grzimeks ab.
Das bietet so viel Mitdenk-Stoff, daß flache Späße über die Ehe (russisches Roulett mit vollem Magazin) oder über Männer (Der Mann denkt nicht immer an Sex … außer er denkt.) oder unterhalb der Gürtellinie (Intimrasur: Ein Zwerg wirkt größer auf einer gemähten Wiese) im Grunde gar nicht nötig sind. Es sei denn, siehe oben.