Ein faszinierender Abgesang

Toshiyuki Kamioka dirigiert Gustav Mahler, „Sinfonie Nr. 9 D-Dur“

von Daniel Diekhans

Ein faszinierender Abgesang
 
4. Wuppertaler Sinfoniekonzert läßt das Jahr mit Mahler ausklingen
 
Gustav Mahler, „Sinfonie Nr. 9 D-Dur“
 
Sinfonieorchester Wuppertal - Ltg. Toshiyuki Kamioka
 
Mahlers 9. Sinfonie ist sein letztes Meisterwerk. Die Uraufführung 1912 erlebt der Komponist nicht mehr. Radikaler als ihre Vorgänger, die monumentale 8. Sinfonie und das berühmte „Lied von der Erde“, bricht die Neunte mit der Tradition. In ihrem Verlauf löst sie sich immer weiter vom klassisch-romantischen Schema. Bis heute ist die Neunte deshalb für jeden Interpreten ein Drahtseilakt ohne Netz und doppelten Boden. Toshiyuki Kamioka, der Mahlers Sinfonien regelmäßig in Wuppertal und auf Konzertreisen dirigiert, ging das Wagnis ein. Am gestrigen Sonntag stand das Spätwerk auf dem Programm des 4. Sinfoniekonzerts des Sinfonieorchesters Wuppertal.
 
Die Musik der Neunten scheint aus dem Nichts zu kommen und am Ende wieder dorthin zurückzukehren. Anfangs fließen ein Sonatensatz und Liedhaftes ineinander. Das Scherzo hat die Form eines heiteren Ländlers. Nach einem stürmischen Rondo verklingt die Sinfonie in Zeitlupentempo. Für diese scheinbar unvereinbaren Welten, die tatsächlich thematisch eng miteinander verknüpft sind, findet Kamioka die jeweils angemessene Form.
Schicht um Schicht errichten Streicher und Bläser das Gebäude des gewaltigen Kopfsatzes. Mit ganzem Körpereinsatz entfesselt der Dirigent den Sturm der Leidenschaften. Fanfaren und Paukenwirbel heizen die Stimmung weiter an. Schließlich erhebt sich eine Solo-Violine über dem Flageolett der Streicher. In bester Laune taucht Kamioka ein in den Tanzrhythmus des zweiten Satzes. Wie ein Dompteur bändigt er die überschießende Energie seiner Musiker. Der Ländler steigert sich zum ungestümen Walzer. Seine Schritte gehen immer wieder ins Leere. Ein erneuter Tempowechsel – und der Tanz verebbt im gemächlichen Tempo des Auftakts. Der dritte Satz gönnt weder den Spielern noch den Zuhörern ein Innehalten. Streicher und Bläser überschlagen sich förmlich, fallen übereinander her, sinken nieder. Mit präzisen Handzeichen läßt Kamioka Harfe, Glockenspiel und Perkussion zu Wort kommen. Die größte Herausforderung aber steht dem Orchester noch bevor. Das Finale ist kein Drama, sondern ein ätherisches Adagio. Einen hauchdünnen Trauerflor trägt das Thema. Die dissonanten Streicher ziehen die übrigen Instrumente mit sich fort. Nach einer Generalpause läuft ein letztes, kaum hörbares Zittern über Geigensaiten. Ein faszinierender Abgesang, für den Dirigent und Sinfoniker vom Publikum mit stehenden Ovationen belohnt wurden.
 
Heute, Montag um 20 Uhr, wird das 4. Sinfoniekonzert wiederholt. Um 19 Uhr gibt Prof. Dr. Lutz-Werner Hesse eine Einführung in das Stück.
 
Weitere Informationen unter: www.sinfonieorchester-wuppertal.de