Kostbarkeiten

von Erwin Grosche
Kostbarkeiten
 
Herr Wilsrode fuhr mit seinem Freund Herrn Auerbach in die Schweiz. Die Schweiz ist nicht nur bekannt für ihre schneebedeckten Berge, sondern auch für die weiße Schokolade. Herr Wilsrode fragte Herrn Auerbach, ob er seiner Frau wieder eine Toblerone mitbringen würde? Herrn Auerbachs Frau liebte weiße Schokolade und die weiße Toblerone gehörte zu ihren Lieblingssorten. Herr Wilsrode konnte sich noch erinnern, daß sie mal stundenlang durch Basel liefen, um für Herrn Auerbachs Frau diese weiße Toblerone zu finden. Liebe kennt keine Mühen. Herr Auerbach winkte ab. „Inzwischen“, sagte er, „gibt es die weiße Toblerone auch in Deutschland. Dort ist sie billiger.“ Herr Wilsrode war enttäuscht. Warum läßt man den Liebenden nicht die Eigenheiten eines Landes, um aus der Ferne den Beweis ihrer Sehnsucht mitzubringen? Irgendetwas stimmt nicht mit der Welt, wenn selbst die Kostbarkeiten überall und zu jeder Zeit zu bekommen sind. Eine Kostbarkeit verliert durch die dauernde Verfügbarkeit ihren Wert. Später kam Herrn Wilsrode zum Glück ein tröstlicher Gedanke. Warum sollte Herr Auerbach nicht trotzdem seiner Frau eine weiße Toblerone aus der Schweiz mitbringen? Sie würde sie zu Hause auspacken, die Augen schließen und dann entzückt sagen: „Du hast mir eine weiße Toblerone aus der Schweiz mitgebracht, obwohl du wußtest, wie günstig man sie hier im Minipreis bekommen kann? Das ist lieb. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Das ist doch Liebe. Die Sprachlosigkeit vor Glück. Das Teilen von Kostbarkeiten, wie schwer uns das auch manchmal fällt. Herr Wilsrode beschloß diesen Gedanken mit Herrn Auerbach zu teilen. Vielleicht war das letzte Wort noch nicht gesprochen.
 
 
© Erwin Grosche