Die Liebe in Zeiten finanzieller Abhängigkeiten

Molieres „Der Geizige“ in Essen

von Andreas Rehnolt

Foto © Martin Kaufhold

Die Liebe in Zeiten finanzieller Abhängigkeiten
 
Im Essener Grillo-Theater überzeugte Jasper Brandis
mit einer frischen Variante von Moliéres Komödie „Der Geizige“
 
 
Essen - Geiz ist nicht geil, sondern reichlich armselig. Das zeigt die Moliére-Komödie „Der Geizige“ in der frischen Variante von Regisseur Jasper Brandis, die am 29. Dezember im Essener Grillo-Theater eine wahrlich unterhaltende Premiere feierte. Thomas Büchel in der Hauptrolle des geldgierigen Harpagon glänzt als grandioser Geizhals, der im biederen braun-beigen Rolli und pomadisierten Haaren seinen monetären Schatz so irre anhimmelt, wie Smergold/Gollum seinen goldenen Ring im ersten Teil des Films „Der Hobbit“.
 
Brandis bringt einen modernen, einen heutigen Harpagon auf die von Katrijn Baeten und Saskia Louwaard gebaute Bühne. Die ist wie eine Showtreppe angelegt, ganz in grau gehalten und weist einige aufklappbare Gruben auf, in die der Geizige seine Schatz-Schatulle aus Angst vor Dieben versteckt. Es scheint, dieser Geizige sei in Zeiten von Sparzinsen unterhalb eines Prozents und gleichzeitig relativ hoher Inflationsrate nicht sonderlich an einer Rendite interessiert. Weiß er doch aus jüngster Zeit, daß sein Geld getreu dem kölschen Schlager „Hätten wir lieber das Geld vergraben, daß wir im Leben ...“ bei Bankers und Finanzberatern so ganz und gar nicht sicher aufgehoben ist. 
 

Foto © Martin Kaufhold

Während Büchel also vor Geiz geifert und alle die, die ihn um Geld angehen des Diebstahls und der Völlerei verdächtigt, verleumdet und beschimpft, sind alle anderen inklusive seiner Kinder scharf auf seine Moneten. Die sind vielleicht noch schlimmer als Harpagon, sie reden von Treue, Liebe und Großmut und sind letztlich doch nichts anderes, als geldgeile Schmarotzer. Die Besetzung der weiteren Rollen in Essen ist exzellent. Floriane Kleinpaß als Tochter Elise in grünen Tüll-Mini-Kleid wirkt wie eine Barbie-Puppe und bleibt eisig-unemotional. Stefan Diekmanns als Sohn Cléante begehrt eben die junge Frau, die sein Vater ehelichen will und pokert mit über Mittelsmänner vom Vater zu Wucherzinsen geliehenen Geldern um die Gunst der jungen Marianne.
 
Die wird von Anne Schirmacher wunderbar vulgär mit eingefärbter Blond-Perücke und Kaugummi im Mund gespielt. Naiv und zugleich gewieft gibt sie den weiblichen Proll, deren Reizen Harpagon und Cléante erlegen sind. Auch Ingrid Dohmann als Kupplerin Frosine, die den geldgierigen „Geizigen“ selbst gerne zum Mann hätte sowie Harpagons Sekretär Valère sind sehenswert. Ganz großartig in der vielbeklatschten Premierenaufführung ist Jan Pröhl in der Rolle des Kochs und Dieners Jacques, der mal als Streitschlichter zwischen Vater und Sohn, mal als Hähnchen-Sucher über die Treppen schlurft.
 
Als dann seine üppig bestückte Geldkassette entdeckt und gestohlen wird, tobt, weint und fleht Harpagon echt herzzerreißend und rollt wimmernd mindestens 15 der Treppenstufen herunter bis kurz vor die erste Publikumsreihe. Zum Ende hin zieht die ganze Bagage mit Ausnahme des erschütterten Harpagon in einer Art Karnevals-Polonaise hinter dem Geldschatz von der Bühne. Der Applaus am Ende der knapp zweistündigen Inszenierung ist lang, ehrlich und wohlverdient. Die Vorstellungen bis Februar sind nach Angaben des Theaters bereits ausverkauft.


Foto © Martin Kaufhold