Ein Abend mit Untoten

Bram Stokers „Dracula“ in einer Bühnenfassung von Jens Kalkhorst

von Frank Becker

Ein Abend mit Untoten
 
Bram Stokers „Dracula“
in einer Bühnenfassung von Jens Kalkhorst
 
 
„A faint cold fear thrills through my veins.“
Shakespeare, Romeo and Juliet
Act 4, Scene 3
 
Regie: Jens Kalkhorst – Bühne: Rüdiger Tepel – Maske: Sandra Kremer
Besetzung: Graf Dracula (David Meister) - Mr. Renfield, Psychiatriepatient (Patrick Schiefer) - Lucrezia, Draculas „Schwester“ (Angela del Vecchio) - Mina Murray, Nadine Mehler - Jonathan Harker (ihr Verlobter), Maurice Kaeber - Lucy Seward (Sarah Kocherscheidt) -  Arthur Holmwood, ihr Verlobter (Dennis Ellerbrake) - Dr. Peter Seward, Lucys Vater (Ralf Poniewas) - Prof. van Helsing, Vampirjäger (Jens Kalkhorst) - Ava (Teresa Schulz), Bernadette (Stephanie Spichala), zwei Blutschwestern Lucrezias

Die Faszination der Düsternis
 
Wuppertal. Flackerndes Kerzenlicht, wabernde Nebelschwaden, gruselige Musik, viel Blut und ein Vlad Dracul (David Meister) wie aus dem Bilderbuch: Jens Kalkhorst hat die richtigen Zutaten genommen, um das Tremendum fascinosum von Bram Stokers Vampir-Klassiker „Dracula“ der Romanvorlage gerecht werdend für die Bühne des TalTonTheaters zu realisieren. Der Erfolg des jetzt nach vier Jahren zum letzten Mal gespielten personal- und ausstattungsaufwendigen Stücks gibt ihm Recht. Ginge es nach dem Publikum, könnte sich daraus beinahe eine Erfolgsgeschichte à la „Die Mausefalle“ entwickeln, aber am kommenden Sonntag schließt sich im TTT in der Wuppertaler Wiesenstraße der blutrote Vorhang für den Untoten aus den Karpaten zum letzten Mal.
 
Religionskritik und Gotteshaß
 
Was soll ich Ihnen viel über die Geschichte des Blutsaugers aus Transsylvanien erzählen – die dürfte seit 1897 nach ungezählten Romanauflagen, Verfilmungen, Bühnenfassungen, Comics und Fernseh-Serien beinahe jedem Leser und Kinogeher bekannt sein. Wichtig erscheint mir hier, wie Regisseur Jens Kalkhorst, der auch den Vampir-Jäger van Helsing spielt und Dracula-Darsteller Meister die faszinierende Figur des Herrschers der Nacht angelegt haben. Sie lassen den Zwiespalt der gequälten und der liebenden Seele des

Sarah Kocherscheidt, David Meister - Foto: TTT
Getriebenen in den Vordergrund treten, machen die ewige, unsterbliche Liebe und ihre Wirkung auf das Ziel seines glühenden Begehrens, Mina Murray (Nadine Mehler) zum Angelpunkt – und geben damit dem Horror einfühlsam eine beinahe versöhnliche Facette. Zugleich wird Bram Stokers Religionskritik durch Draculas Gotteshaß in eine prominente Position gerückt, damals sicher eine unerhörte blasphemische Provokation, heute noch oder wieder Anlaß zur intensiven Auseinandersetzung mit Glaubensfanatismus und Dogma.
 
Brillant gezeichnete Charaktere
 
David Meister brilliert mit wehenden Umhängen in seinen unheimlich lautlosen Auftritten beinahe körperlos durchscheinend als der Fürst der Finsternis, mal mit erlesener Höflichkeit, dann wieder hart und herrisch, schließlich aber auch zwischen Gier und Liebe zerrissen. Bewegend gibt Nadine Mehler das willfährige Objekt dieser Begierde, das seine Liebe erwidert und Sarah Kocherscheidt die ihm als Werkzeug in Hörigkeit verfallene Lucy. Ein Kabinettstück liefert Patrick Schiefer mit dem Psychiatriepatienten Mr. Renfield ab, ein Seiltanz zwischen Wahn und Klarsicht. Vergessen wir nicht die an Draculas Seite zügellos nach Blut gierenden „Schwestern“ Ava und Bernadette und ihnen voran die wunderbare Angela del Vecchio als fauchende, düster funkelnde Lucrezia.  
 
Auf der Klaviatur des Grauens
 
Gekonnt, jedoch jede Routine vermeidend spielt das hervorragende Ensemble glaubhaft auf der Klaviatur des Grauens, läßt durchaus gelegentlich echte Gänsehaut entstehen, provoziert das Gruseln jedoch nicht durch vordergründige Schock-Effekte, sondern erzeugt es durch sorgsam gesetzte Akzente des Horrors. Wenn Blut fließt, dann richtig, wenn ein Schrei gellt, dann ins Mark gehend. Das wirkt nie lächerlich, und wenn doch einmal im Publikum ein leises Lachen zu hören ist, wirkt das wie das verlegene Pfeifen im Walde oder im dunklen Keller. Die aufwendige Bühnen- und Kostümausstattung (Rüdiger Tepel) tragen ihren Teil zum Erfolg ebenso bei wie die aisgezeichnete Maske (Sandra Kremer).

Nur noch zwei Aufführungen sind im Programm: am 11. und 12. Januar. Es gibt nur noch wenige Karten. Nicht versäumen!



Weitere Informationen: taltontheater.de