Schiffswracks und versunkene Häfen

Michaela Reinfeld (Hg.) - „Archäologie im Mittelmeer“

von Friederike Hagemeyer

Schiffswracks und versunkene Häfen
 
Von Friederike Hagemeyer
 
 
Wer träumte nicht als Kind oder Jugendlicher von geheimnisvollen Wracks und ihren verborgenen Schätzen? Von untergegangenen Städten, die bloß darauf warteten wiederentdeckt zu werden? Seit geraumer Zeit sind solche nur in der Phantasie erlebten Bilder zu Gegenständen wissenschaftlicher Forschung geworden.
Das von Michaela Reinfeld herausgegebene Buch „Archäologie im Mittelmeer“, erschienen 2013 bei Philipp von Zabern, spiegelt den aktuellen Forschungsstand der Unterwasserarchäologie im Mittelmeer. Es nimmt die Leser mit auf eine Zeitreise unter Wasser entlang der Küsten des „als archäologisches Binnengewässer erscheinenden Meeres“ (S.7) und beweist einmal mehr, daß das Mittelmeer seit prähistorischen Zeiten dem Austausch zwischen unterschiedlichen Kulturen diente und sie nicht etwa trennte.
 
Ein „Tanker“ der frühen Kaiserzeit
 
Als Jean-Michel Minvielle, pensionierter Unterwasserarchäologe, 2008 am Cap Corse, der Nordspitze Korsikas, nur zum Vergnügen taucht, entdeckt er in 34 Meter Tiefe die Mündung eines sehr großen Vorratsgefäßes, das fast vollständig von Unterwasservegetation überwuchert ist. Der Zufallsfund erweist sich als kleine archäologische Sensation, denn bei näherer Untersuchung stellt sich heraus, daß Minvielle auf das erstaunlich gut erhaltene Wrack eines antiken Tankschiffs gestoßen ist.
 
An der Wende vom ersten vorchristlichen zum ersten nachchristlichen Jahrhundert, am Übergang von der späten römischen Republik zum frühen Kaiserreich, etabliert sich zwischen Kampanien und Marseille der Weinhandel mit Tankschiffen. Diese erstaunlich kleinen Schiffe mit flachem Boden, einer Länge von 18 – 20 Metern, einer Breite von 6 – 7 Metern und einer Tragkraft von 50 – 60 Tonnen sind, wie sich anhand dieses Fundes herausstellt, eigens für den Massentransport von Wein auf Binnengewässern und auf See konstruiert.
Der Wein wird in „dolia“ transportiert, riesigen kugel- oder birnenförmigen Tongefäßen von bis zu zwei Metern Höhe, einem Leergewicht von etwa 200 Kilogramm und einem Fassungsvermögen von bis zu 2.500 Litern. An Land sind solche Tongefäße mit bleiverstärkten Wänden schon lange als Vorratsgefäße in Gebrauch; erst Ende des ersten Jahrhunderts v.Chr. kommt die Nutzung für den Weinhandel auf dem Wasser auf.
Bis zu zwölf solcher Gefäße in unterschiedlicher Größe können die „Weintanker“ im zentralen Laderaum stabil gelagert unterbringen, dazu im Bug und Heck zwischen 400 und 500 Amphoren, den allgemein üblichen Transportbehältern für Wein.
Die teils gut erhaltenen „dolia“ tragen Stempel, die Auskunft über deren Hersteller geben; z.B. weist der Stempel  „C(aius) PIRANUS CERDO FEC(it)“ (deutsch: „Gaius Piranus Cerdo hat [dieses Gefäß] gemacht“) daraufhin, daß das „dolium“, in einer bereits bekannten Spezial-Werkstatt in Latium gefertigt wurde. Fast ausnahmslos können die bisher auf dem Meeresgrund gefundenen Riesengefäße den Sklaven oder Freigelassenen der Familie Pirani zugeschrieben werden.
Der Weinhandel mit „Tankern“ ist jedoch nur von geringer Dauer; etwa 50 n.Chr. erlischt er wieder. Über die Gründe wird nichts berichtet.
 
Umfassender Überblick über aktuelle Forschungsprojekte
 
Michaela Reinfeld, Archäologin und Forschungstaucherin, ist es gelungen, mit den für die Grabungen verantwortlichen Archäologen einen umfassenden Überblick über die wichtigsten Forschungsprojekte der maritimen Archäologie zusammenzustellen.
Die Reise führt den Leser an den Küsten des Mittelmeers entlang von Spanien, über Frankreich, Italien, Kroatien, Griechenland in die Türkei, in den Libanon, nach Ägypten, Libyen, Tunesien und nach Malta. Es ist auch eine Zeitreise von der klassischen Antike über die Renaissance bis in die Neuzeit, immer auf der Suche nach untergegangenen Schiffen und versunkenen Häfen.
Der an Archäologie und Geschichte des mediterranen Raumes Interessierte wird in diesem schönen Band Antworten auf viele seiner Fragen finden, und es werden sich neue bisher ungelöste Fragen auftun.
Mit seinen hervorragenden Fotos, den anschaulich gestalteten Graphiken, gut geschriebenen Überblicksdarstellungen, die auch die Gefährdungen der Unterwasserschätze benennen und die ungeklärte Forschungssituation in Ländern wie Libanon, Libyen und Griechenland nicht auslassen, ist dieses Werk eine wahre Fundgrube. Es lädt ein zum Durchblättern, Schmökern und sich Vertiefen, kurz zum Eintauchen in die archäologische Unterwasserwelt.
Eine wichtige Übersicht über Gesetze und Regelungen zum Schutz von Unterwasserdenkmälern schließt den Band ab.
 
Michaela Reinfeld (Hg.) - „Archäologie im Mittelmeer“
Auf der Suche nach verlorenen Schiffswracks und vergessenen Häfen
Zaberns Bildbände zur Archäologie - Sonderbände der „Antiken Welt“
© 2013 Verlag Philipp von Zabern, 192 Seiten geb. mit Schutzumschlag, mit 169 Farb- und 24 Schwarzweißabb., 24 X 30 cm - ISBN 978-3-8053-4675-7
EUR 34,99 (Sonderpreis für Abonnenten: EUR 30,99)
 
Weitere Informationen: www.zabern.de