Kabarett! Was sonst?

Eine Inventur (Teil 2)

Von Jürgen Kessler

Jürgen Kessler  - Foto © Frank Becker

 Kabarett! Was sonst?

Eine Inventur aus Anlaß 100 Jahre Kabarett (18.1.2001).
2007 fortgeschrieben für ZDF Online.
(Teil 2)

Jetzt in den Musenblättern!


Von Jürgen Kessler.

 


Geld Macht Geil
(Lisa Fitz Programmtitel)

Dem sich als Spielform der politischen Satire begreifenden Kabarett machte der weltpolitische Umbruch zu schaffen. Als der DDR-Sozialismus dran glauben musste, brachte der Verlust dieser für links-intellektuelle Idealisten mit höherer Moral geweihten Gutwelt manche 68er Beltzebuben erst Mal aus dem Tritt. Folgen hatte auch die Serie "Sechzehn-Jahre-Kohl": Der allgemein aufgetretenen Politikverdrossenheit folgte eine spürbare Politikkritikverdrossenheit. Überdies kam im Comedy-Zirkus der neunziger Jahre dem politischen Kabarett potenzieller Nachwuchs abhanden. Und es fehlt an Akteuren, bei denen mehr brennt in der Brust als die Sorge um die eigene Karriere (allgemeines Problem am Standort Deutschland), die mit Klasse und Klugheit Anstoß nehmen und geben wollen. Der Sprung von der Talentschmiede Kleinkunstbühne ins Fernsehen klappt nun mal am besten, wenn ein möglichst telegen aufgebrezelter Künstler sich nicht zu sehr mit Konfliktstoffen belastet. Es geht um Spaß und Kohle, um Kult und Quote. Da stört Kabarett mit Visionen, da ist es hinderlich, Ursachen und Zusammenhänge öffentlich zu reflektieren, gar an Wurzeln zu gehen; über Symptome und Personen witzeln, das genügt und wird von denen, die aus der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in Gesellschaft und Staat ihren zynischen Standpunkt ableiten, oft auch noch schamlos auf die Spitze getrieben: "Warum ist Schäuble nicht schwul? Weil er seinen Arsch nicht mehr hoch kriegt!": Ingo Appelt. Verletzend statt entlarvend. Masche mit Methode für Rummel und Reibach. Heutzutage ist es eben supi und geil, Blond am Freitag oder ein Ach-so-gut-gelaunter Pocher zu sein, wenn für jede Blähung aus dem Innern des Nichts jener Marktschreier und Zeitgeist-Ladies, und das ist die grausame Tatsache, applaudiert und gezahlt wird. Lieblingsniveau: Schadenfreude. Der banale Nihilismus der TV- und Tournee-Spaßgesellschaft bahnt sich unaufhaltsam seinen Weg. Die Verwechselung von Erkenntnis mit Pointe, von Elite mit Prominenz, von Wert mit Markterfolg sind dabei nur einige Aspekte medial getriggerter Verschiebung von Maßstäben. Wenn Pocher ab Herbst 2007 Schmidt alt aussehen lässt, zündet eine neue Stufe des Kasperismus. Das Volk hat flüchtigen Spaß, oder sich in Gleichgültigkeit der Dauerberieselung und Ablenkung durch diese Art von Discount-Entertainment ergeben.

Seine politische Führung gleich mit: Wenn beim Starkbieranstich ein angeblich satirischer Kabarettist, in Wirklichkeit politisch interesselos, aber polemisch bis zur deftigen Beleidigung, seine aus Pressemeldungen zusammen gezapften Rempeleien vom Blatt abliest, zehnmal hintereinander gegen ein und denselben Politiker gerichtet, dann lacht dieser wohl grimmig mit. Die Frage ist nur, ob er auch merkt, auf welchem Niveau er vorgeführt wird?

Generation Ich

Wer von den Verhältnissen profitieren kann, wird sie nicht ändern. Idealismus heute heißt vielfach sich in den Dienst einer Sache stellen, nämlich der eigenen. Weite Teile der Gesellschaft haben es inzwischen verinnerlicht: Ich-Versessenheit, also Selbstbefriedigung, Partikularinteressen, Vorteilsnahme gehen vor Solidarität und Anstand. Das, was die Briten Common Sense nennen, geht uns eher ab. Verständnis und Respekt sind weithin kein allgemeines Umgangsgut mehr. Die falschen Eliten der sich so toll findenden Creme der Gesellschaft leben es in weiten Teilen unverhohlen vor, verstärkt durch die Lautsprecher konkurrierender Medien. Das Niveau: Boulevard bis Unterkante Abtritt. Eine der Folgen bei Kabarett oder Comedy: Pointen, oder was dafür gehalten wird, werden fabriziert um jeden Preis. Im Vordergrund stehen dabei nicht der Inhalt einer Geschichte, sondern die vortragende Person, nicht ihre Einsichten, sondern ihre Effekte. Als Mittel zur Bloßstellung wird dem Opfer einer 'Witzischkeitsattacke' gerne ein absurd überzogenes Verhalten angedichtet, das dann krassem Spott preisgegeben wird: Gagreißerei in ungestalteter Sprache. Geistvolle Satire mit Esprit gelingt dabei nur selten. Für wen auch? Begeistert sich Jugend heute für ESPRIT, geht's um Klamotten.
Satire ist spöttische, geißelnde Wiedergabe von Wirklichkeit, von Machtverhältnissen. Da liegt der Hase im Pfeffer: Spotten können sie alle. Wo aber bleibt der Anspruch an Geist, Kunst und Aufklärung? Um welche Wirklichkeit geht es, der Satire geschuldet wäre? Wessen Interessen dient ihre Wiedergabe? Über welche Faktenkenntnis verfügt der Autor? Nach Egon Erwin Kisch enthält nichts so viel Phantasie, wie die schiere Sachlichkeit. Aber der war ja Journalist.
Zur intellektuellen Lust des politischen Kabaretts gehörte das Spiel mit Konventionen im Wissenszusammenhang des Publikums. Die diesem Lustgewinn vorausgehende seriöse Recherche und Denkarbeit scheint vielen zum Frust geworden zu sein, wo im Fernsehen Infantilismus und Flachwitze gefordert sind, um die animierte Publikumskulisse zu bedienen, für industrielle Ablachproduktionen, von der Werbewirtschaft hoch bezahlt, solange sie ihr nützen.
So traben denn die 'One-Trick-Ponys' der Kabarettszene zwischen den allgegenwärtigen medialen Selbstdarstellern durchs Weltkaufhaus Deutschland: Werbeverträge als Ziel, Marketing als Lebensgefühl, Event-Tamtam als Erfüllung. "So läuft's Business!" (Kaiser Franz): Fazit fortschreitender geistig-moralischer Verlotterung, Orientierungs- und Verantwortungslosigkeit: Alles inzwischen total normal, denn alternativlos global und irgendwie cool. Anything goes - so what? Diese alberne Abzocker-Welt schmeißt vielleicht die Klimakatastrophe um, aber doch kein Satiriker, mag man zu Recht einwenden. Na und, darum geht's nicht, wäre zu entgegnen: Der echte Satiriker im Kabarett versucht es wenigstens! Was denn sonst?

Die Wüste lebt.
(Michael Quast Programmtitel)

Eulenspiegel nistet derweil eher in den Köpfen von post-Bohème-Provokateuren mit kabarettistischer Ader wie ehedem bei Christof Schliengensief. In Neuentdeckungen wie dem Ersten Deutschen Zwangsensemble, den jungen Truppen der Lach- und Schießgesellschaft oder des


Jochen Busse - Henning Venske
Kom(m)ödchens. Spaßverderber Henning Venske schreibt und bleibt gestochen scharf und unbestechlich. Volker Pispers brilliert mit Klartext in Bestform, offenbart die Lächerlichkeit derer, die Politik heute nur noch spielen, und, ganz nebenbei, die Armseligkeit jener Pseudo-Kabarettisten, die für Ruhm und Geld alles machen, weil sie alles nur noch für Ruhm und Geld machen. Matthias Deutschmann bleibt als politischer Kopf unbequem und steht für alle, die ihre Großmutter noch nicht für einen Witz verkauft haben. Berlins ambitionierter Ulk-Oldie Dieter Hallervorden versucht mit Autoren wie Frank Lüdecke Brücken zwischen komödiantisch-grotesken Spielformen und gesellschaftskritischen Inhalten zu schlagen. Georg Schramm lässt sein analytisches alter ego Dombrowski Tacheles reden, neuerdings im Zweiten, mit Urban Priol als Chefplaudermaschine. Dieter Hildebrandt genießt als Ururgestein mit seinem Studio-Brettl-Charme nationalen Bestandsschutz. Zu seinen besten Zeiten war er alleine fast ein Parlament. Bruno Jonas & Co. wischen derweil seiner ARD-Hinterlassenschaft mit der Kraft der Tradition weiter die befleckten Scheiben. Hanns Dieter Hüsch, der ein halbes Jahrhundert an der Geschichte des Kabaretts mitgeschrieben hat - aus heutiger Sicht stilistisch, ästhetisch und moralisch wie von einem anderen Stern -, konstatierte kurz vor seinem Abschied mangelndes Engagement der jungen Kollegen für Demokratiehygiene und gegen Rechtsextremismus: "Noch immer sind hunderttausende Rassisten und Faschisten unter uns. Die Verpflichtung zum kritisch-solidarischen Geleitschutz demokratischer Werte besteht fort." Die unvergessene Lore Lorentz sang noch bis kurz vor Ihrem Tod "Die Wut ist jung" (von Werner Schneyder).

Frank Lüdecke - Dieter Hallervorden

Könnte es sein, dass viele der jungen Stand Up-Großverdiener frei nach Karl Valentins "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" ernsthafte Töne, echte Konfliktstellungen, alternative Entwürfe, dramaturgische Stimmungswechsel, kurz, das öffentliche Nachdenken im Kabarett für altmodisch halten, weil es anstrengend und für den schnellen Erfolg bei jenen Zappern und Fun-Surfern gewiss riskant ist? Denn die wollen auch das wahre Leben lieber als Party-Häppchen serviert haben.
Endzeit für politische Tiefenschärfe, Sehnsucht und Engagement, Poesie und Experiment im Kabarett? Weichen die Idealisten den Zynikern, die Analytiker den Populisten, die Sonderlinge den Markt-Strategen? Nicht nur ein Generationswechsel hat sich vollzogen, auf der Kabarettbühne, wie im Parkett: Die einst in Ost und West ein Stück Identität stiftende Kultur der Linksdenker, ihre dialektische Antriebskraft, versickert in der kapitalistischen Mediendemokratie wie das Wasser in der Wüste. Demokratie lebt jedoch vom Widerspruch. Kabarett, als darstellende Satire, ist eine Widerspruchskunst. Schnurrt sie zusammen auf Passform für die Rubrik "TV-Sprüche" bei "BILD", ist sie keine mehr.
Was im Fernsehen nach zwei Sätzen nicht zur Lachsalve führt, ist schon problematisch. Kritisch-differenzierte, szenisch inszenierte, gar poetisch vertrackte Produktionen, so wie sie gelegentlich noch für die Bühne entworfen werden, gucken in die Röhre. So bilden sich Maßstäbe, die politisch-literarischem Kabarett immer weniger Chancen lassen. Folge: Abrissbirnen-Kultur, präsentiert von Witzomaten, die in ewig gleicher Stimm- und Stimmungslage durch künstliche Kulissen rudern. Mag's die Welt wohl brachial verdienen, aber für die Kunst des Kabaretts ist es auf Dauer nur die Fortsetzung von Karneval mit gleichen Mitteln. Immer mehr Typen und Titel aus der fünften Jahreszeit sind schon ganzjährig auf Party in der Comedyrepublik Deutschland. Da lachst du dich tot; Risiken und Nebenwirkungen für das Leben danach inklusive. Nicht zuletzt dieser Entwicklung, die sich vor allem deshalb für erfolgreich hält, weil sie Umsatz macht, trägt das Auftrittsangebot der meisten Städte Rechnung: Überall ist Comedy.

Trotz alledem: Die Initiatoren und Veranstalter sind zu bestärken, den Mut zum Engagement des Nachwuchses nicht zu verlieren. Das Publikum sollte neugierig auf jene bleiben, die noch ohne Fernsehbekanntheit, mit Phantasie und politischen Ansätzen (das altmodische Wort dafür heißt Anliegen), die "Bretter, die die Zeit bedeuten" (Heinz Greul) betreten.


Hanns Dieter Hüsch - unvergessen!
Die Künstlerinnen und Künstler aber sollten nicht zulassen, dass das literarische, philosophische und politische Element im Kabarett, also seine Intelligenz, eines Tages zur Tabuzone verkommt.
Die Freiheit der darstellenden Kunst ist die Bühne. Dem Kabarett ist zu wünschen, von dieser Freiheit in einem umfassenden, künstlerischen und menschenwürdigen Sinn neuen Gebrauch zu machen, Charakter ins Fach zu stecken, Gesicht zu zeigen, nicht Maske.



© 2007: Jürgen Kessler. Geschäftsführer der Stiftung Deutsches Kabarettarchiv und Initiator der Sterne der Satire. Über Jahrzehnte Manager von Hanns Dieter Hüsch.
© der Fotos beim Kabarettarchiv / Frank Becker (1)

Redaktion: Frank Becker