Rhein und wahr

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Erwin Grosche - Foto © Frank Becker
Vom Glücklichsein
und anderen gefährlichen Irrtümern

3. Februar:
 
„Ich kann einer Maus nichts zu leide tun“.
Das sagte die Katze zu dem Huhn,
und trotzdem blieben die Mäuse zu Haus,
denn sicher ist sicher, sagte die Maus.
 
Zum Katzenfest kam keine einzige Maus
und dabei sah alles so friedlich aus.
Es hatten vorher die Katzen gesagt:
„Ab heute wird keine Maus mehr gejagt.“
 
Der Frieden kann immer trügerisch sein,
läßt man sich auf den Stärkeren ein.
Denn wenn ihnen plötzlich der Frieden nicht paßt,
dann wird man wieder wie früher gehaßt.
 
 
6. Februar: Manchmal muß man etwas sagen. Wie geht´s, wie steht´s, was macht die Liebe? Auch bewußt drumherum reden, um dann auf etwas Wesentliches zu stoßen. So ist es gut. Erstmal eine Tasse Tee trinken und dazu ein Plätzchen essen. Plötzlich taucht ein gemeinsamer Gedanke auf, wie ein verschollener Freund. Plötzlich taucht ein gemeinsames Gefühl auf, daß beweist, wie nah man sich im Grunde schon immer gewesen war. Da muß man auch Themen wie das Wetter hinter sich lassen, Fußballspiele erörtern und über den letzten wunderschönen Urlaub reden, um dann gestehen zu können: Ich habe Angst. Ich bin allein. Ich würde am liebsten sterben. Manchmal muß man etwas sagen. Wie geht´s, wie steht´s, was macht die Liebe? Auch bewußt drumherum reden, um dann auf etwas Wesentliches zu stoßen.
 
8. Februar: Ich bin vom Glücklichsein so erschöpft, daß ich manchmal weinen muß. „Verdammtes Glück laß mich in Ruh und wende dich den andern zu.“ Nichts gegen das Glücklichsein, aber man kann doch nicht immer nur glücklich sein? Man kann doch nicht immer nur alle umarmen, alle Katzen streicheln und an allen Blumen riechen wollen? Kaviar wird auf Dauer auch langweilig. Das Glück ist auf Dauer nicht auszuhalten. Was gibt es Schlimmeres als eine permanente Glücksplage. Wenn ich morgens aufstehe und bin schon glücklich, dann schrei ich erst mal meinen Mann an, um überhaupt wach zu werden, damit ich weiß wo ich bin. Mein Chef sagt immer, zuviel Glück stört den Betriebsfrieden. Einmal habe ich vor Glück einen Freudensprung gemacht und hab es gleich danach im Rücken gehabt. Gestern war ich auch so glücklich, daß habe ich keinem erzählt, damit ich noch für voll genommen werde. Wenn die Kinder sehen, daß ich glücklich bin, dann tanzen sie mir auf dem Kopf herum. „Hat es dich wieder erwischt?“, fragt mein Mann dann immer, das G-L-Ü-C-K?“ Er buchstabiert dann immer das Wort, damit die Kinder nicht beunruhigt werden. Ich sage dann immer: „Ich L-I-E-B-E- dich.“, damit er weiß, daß das Glück uns nicht auseinanderbringen kann. Das Glück braucht nicht zu glauben, daß ich nur wegen ihm meine Probleme verdrängen würde. Gestern mußte ich für meinen Personalausweis ein neues Paßfoto machen. Und jetzt darf man doch auf Paßfotos nicht mehr lachen. Machen sie das mal, wenn sie so glücklich sind.


© 2014 Erwin Grosche für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker