Japan feiert das Sinfonieorchester Wuppertal

Eine musikalische Tournee-Nachlese

von Daniel Häker

Foto © Daniel Häker

Mozart, Beethoven, Tschaikowsky,
Wagner, Bruckner,
Richard Strauss
und Johann Strauß Sohn


90 Menschen, 26 Kisten Fracht, fünf Konzerte und ein überragender Dirigent – das Sinfonieorchester Wuppertal und sein Chef Toshiyuki Kamioka zum Gastspiel in Tokio



Ein Orchester auf dem Weg nach oben

Das Sinfonieorchester Wuppertal, ein A-Orchester, ein sehr gutes noch dazu, hat sich zunächst in den sechs Jahren unter GMD George Hanson und nun, in den vergangenen drei Jahren unter Toshiyuki Kamioka großartig entwickelt. Für seine CD-Einspielungen der letzten Jahre erhielt es verschiedene Auszeichnungen bis hin zum Echo Klassik. Das Orchester ist, besonders mit


Toshiyuki Kamioka - Foto © Daniel Häker
seinem Chef Toshiyuki Kamioka, für mitreißende Konzerterlebnisse ebenso bekannt geworden wie für seine auch im Operngraben geschulte Fähigkeit, Solisten überaus flexibel und sensibel zu begleiten. Es hat sich wesentlich verjüngt und um erstklassige Musiker wie den Konzertmeister Nikolai Mintchev oder die Flötistin Catarina Trier verstärkt. Nichtsdestoweniger liegt ein Gastspiel, das fünf Auftritte in den großen Konzertsälen Tokios umfaßt, normalerweise außerhalb der Reichweite eines solchen städtischen Orchesters. Aber diese Tournee, vorbereitet und möglich gemacht vor allem durch Toshiyuki Kamioka und den Bekanntheitsgrad, den er in seiner Heimat genießt, ist ein erster Höhepunkt der Entwicklung, die das Sinfonieorchester zu einem überregional und international anerkannten Klangkörper geformt hat. Als Botschafter seiner Stadt wird es wahrgenommen und gerne eingeladenen. Also folgen Sie mir bitte...


Nikolai Mintchev - Foto © Daniel Häker
Mit großem Gepäck unterwegs

26 Frachtkisten, die mit „Lufthansa Cargo“ nach Tokio gelangten, stehen hinter der Bühne : Kontrabässe, Celli, Posaunen, Tuben, Kesselpauken, Schlaginstrumente, Harfe und vieles mehr... Der Transportaufwand und die Logistik sind enorm. Denn nur, wenn ein Orchester ausnahmslos seine eigenen Instrumente verwendet und keine am Auftrittsort geliehenen, kann es auch den eigenen, unverwechselbaren Klang entfalten. Sich in den Proben auf die immer neue Akustik in den verschiedenen Sälen einzustellen und dabei doch den eigenen Klang zu bewahren, ist schon schwierig genug. Zumal in Japan nicht nur fünf Konzerte innerhalb von acht Tagen geboten wurden, sondern drei sehr unterschiedliche Konzertprogramme mit insgesamt 10 Werken von Mozart, Beethoven, Tschaikowsky, Wagner, Bruckner, Richard Strauss und Johann Strauß Sohn. Während das Orchester bereits bis an eine hohe Leistungsgrenze gefordert wird, betritt Toshiyuki Kamioka mit seiner


Catarina Trier
Foto © Daniel Häker
persönlichen Leistung ein Terrain, das nur ganz wenigen Menschen zugänglich ist. Er dirigierte nicht nur jedes der genannten Werke auswendig, er hatte vom zweiten bis zum fünften Konzert noch jeweils brillante Auftritte als Klavier-Solist in Mozarts 21. Klavierkonzert in C-Dur und dem 23. Klavierkonzert in A-Dur. Sein Orchester, das ihm stets überaus aufmerksam und mit ihm gemeinsam atmend folgt, leitet er bei solcher Gelegenheit vom Konzertflügel aus.

"Kühle" Japaner?

Vor dem ersten Auftritt am 9.10. im Musashino Shimin Bunka Kaikan warnt Kamioka das Sinfonieorchester, vom japanischen Publikum ähnlich enthusiastische Reaktionen zu erwarten, wie sie das Wuppertaler Publikum seinem Orchester regelmäßig im Konzertsaal der dortigen Stadthalle bietet. Das Publikum in Tokio sei freundlich, höflich, aufmerksam, aber zurückhaltend. Es sollte anders kommen.
In der ausverkauften Halle gelingt schon der Auftakt mit „Don Juan“ von Richard Strauss sehr gut   - besonders
Andreas Heimann, erster Oboist des Sinfonieorchesters, tut sich mit wunderschönen Soli hervor, er wird diese Leistung während der ganzen Tourneewoche immer wieder bestätigen. Entsprechend warm ist die Antwort des schon gar nicht mehr so zurückhaltenden Publikums.

Nach der 90 Minuten währenden Aufführung von Bruckners Siebenter Sinfonie in Kamiokas


Andreas Heimann - Foto © Daniel Häker
ungewöhnlich gedehnter, gleichwohl spannungsvoller Interpretation, der das japanische Publikum nicht nur mit respektvoller Ruhe, sondern mit atemloser, geradezu als Substanz im Raum faßbarer Ergriffenheit zuhört, ist endgültig klar, daß von zurückhaltenden Reaktionen keine Rede sein kann. Der Applaus dafür wurde zur Ovation, und Kamioka und sein Orchester gaben das Vorspiel zu Wagners „Lohengrin“ als Zugabe.

Ovationen

Ähnlich die Begeisterung nach dem zweiten Konzert, das in der Concert Hall der Tokyo Opera City stattfindet. Diesmal präsentieren Kamioka und sein Orchester große Vielfalt und bieten erneut „Don Juan“, dann Mozarts schon erwähntes Klavierkonzert in C-Dur, nach der Pause eine packende, straffe Fünfte Sinfonie von Beethoven und schließlich, da der Beifall abermals nicht verebben will, die Ouvertüre zur „Fledermaus“ von Johann Strauß Sohn als spritzige Zugabe.
Am dritten Konzertabend dann, wieder in der Halle der Tokyo Opera City, ein Ereignis, wie es nach Auskunft des Juniorchefs der Konzertagentur Music Masters, die für Toshiyuki Kamioka und das Sinfonieorchester Wuppertal während der Tournee zuständig ist, in den Konzertsälen Tokios bis dahin noch nicht vorgekommen ist. Er sei, sagt er im Gespräch, seit sieben Jahren im Geschäft, seine Agentur betreue berühmte Dirigenten, Solisten und Orchester bei ihren Auftritten in den großen Sälen Japans, aber so etwas habe er noch nicht erlebt. Das Konzert endete mit Tschaikowskys „Pathetique“, und Kamioka dirigierte mit einer Intensität, einer alles entäußernden Hingabe, von der diese Bilder, während des Konzertes aufgenommen, einen Eindruck vermitteln mögen.


Toshiyuki Kamioka - Foto © Sinfonieorchester/ A. Fischer

Toshiyuki Kamioka - Foto © Sinfonieorchester/A. Fischer









Die Aufführung ist ergreifend und außergewöhnlich gelungen und verhaucht mit den letzten, fast nur noch erahnbaren Tönen der Celli und Kontrabässe. Kamioka braucht lange, lange, um den Stab sinken zu lassen und die Spannung zu lösen. Es ist so still im Saal, als hätte sich die Schöpfung umgekehrt, und die Erschaffung von Schall stünde erst noch bevor. Dann bricht ein Beifallssturm aus, der schier überhaupt nicht mehr enden will und nahezu an Hysterie grenzende Ausmaße annimmt. Nachdem Toshiyuki Kamioka und das Orchester den tosenden Applaus lange entgegengenommen haben, verlassen sie schließlich die Bühne, in der Erwartung, das Publikum werde nun verstummen und nach Hause gehen. Doch der Beifall und die Bravorufe hören nicht auf. Zunächst stellt sich Kamioka, vom Konzertagenten und von Orchesterkollegen von der Seitenbühne aus gedrängt, noch einmal dem Publikum, aber auch das genügt nicht. Schließlich muß das gesamte Orchester noch einmal auf die Bühne, und in einer nicht verabredeten Geste spontaner Gemeinsamkeit verbeugen sich der Dirigent und das ganze Orchester vor dem Publikum, was eine weitere Welle des Jubels auslöst. Die CDs, die Toshiyuki Kamioka und das Sinfonieorchester Wuppertal in den vergangenen Monaten mit der Firma TDK aufgenommen haben, verkaufen sich im Anschluß, wie schon nach den ersten beiden Konzerten, in überwältigender Zahl wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln. Auch


Foto © Daniel Häker
die Tokioter Niederlassung eines der größten Schallplattengeschäfte der Welt, HMV, im Stadtteil Shibuya plaziert in ihrer Klassikabteilung die CDs unübersehbar.

Ein Orchester verbeugt sich

Auf die letzten beiden Konzerte, am 13. Oktober in der Yokohama Minatomirai Hall und am 14. in der Tsukuba Nova Hall, reagierte das japanische Publikum ebenso enthusiastisch wie auf die Aufführung am dritten Konzertabend. Erneut mochte der Beifall nicht verebben, wieder muß zunächst Kamioka, dann das ganze Orchester noch einmal die Bühne betreten, um noch mehr Applaus entgegenzunehmen. Diese intensiven Erlebnisse lassen manchem Musiker Tränen in die Augen steigen. Wieder verbeugen sich Dirigent und Orchester, ein Ritual, das sich hoffentlich in den kommenden Jahren wiederholen wird. Das Orchester und Toshiyuki Kamioka dürfen zu Recht stolz sein, ihre Stadt derart repräsentiert zu haben.


Foto © Daniel Häker
Zum Abschluß sollen noch drei Herren gewürdigt werden, ohne deren Einsatz keiner der Auftritte des Sinfonieorchesters Wuppertal in Tokio funktioniert hätte. Gemeint sind die Orchesterwarte Torsten Krohm, Sami Ben Hammed und Lars Priesack, auf dem Bild von links nach rechts in der Yokohama Minatomirai Hall zu sehen.

Text und (7) Fotos: Daniel Häker

Redaktion: Frank Becker