Beethoven

... und das Verhältnis Bonns zu ihm

von Konrad Beikircher

Beethoven
 
 
 „Beethoven war so taub, daß er sein Leben lang dachte, er malt“
(anonymer englischer Musiker, 19. Jahrhundert).
 
Das Erste, was man nie vergessen darf, ist: Beethoven war BONNER!. Er ist in BONN! geboren, sein Herz hat immer an BONN! gehangen, egal, was er gemacht hat, er hat es als BÖNNSCHE! JUNG! getan, egal, was er geschrieben oder gesagt hat, er hat es als BONNER! geschrieben oder gesagt und daß das in Wien überhaupt irgendwie alles geklappt hat, hat damit zu tun, daß er als BONNER! überall in der Welt zurecht gekommen wäre, selbst in BONN!. Deshalb muß ich als Wahlbonner aus Südtirol natürlich auch meiner Pflicht der Stadt Bonn gegenüber Genüge tun und erst mal was zum 'Bönnschen' in Beethoven und zum Verhältnis dieser Stadt zu ihm sagen.
     Das fängt ja schon mal damit an, daß das ‘van’ eine hübsche rheinische Charade ist: es ist kein richtiges ‘von’ aber 'e bißje' mehr als gar nichts ist es doch! Und das bei einem, der, wie jeder richtige Rheinländer, natürlich Republikaner war. Wo der Bayer oder der Wiener heute noch 'Chromosomonal-Monarchist' ist (von denen kann ja keiner ohne Krönchen leben), war die rheinische Art auch zu Beethovens Zeiten schon 'e bißje' anders: man erträgt die Monarchen, liebt sie aber nur dann, wenn man mit ihnen abends auch mal ein Kölsch trinken kann. Andernfalls können sie dem Rheinländer 'dä Mai piefe'. Das hat sich seit damals bis in unsere Zeit glücklicherweise erhalten (ich sage nur: Antwerpes!). Und Ludwig van Beethoven war geradezu ein Parade-Republikaner. Vielleicht war er es noch nicht in Bonn, aber in Wien, wo jeder Laternenanzünder schon kaiserlich-königlich war und wo mit Hofrats-Titeln die Straßen gepflastert wurden, schliff sich sein rheinisch-republikanisches Politikgefühl zu einer Waffe, die seinen Werken innewohnt und die auch die Zeitgenossen gespürt haben und auf die sie reagiert haben:
mit Jubel die einen, mit Verständnislosigkeit die anderen, weil neben der musikalischen Größe auch diese politische Botschaft verstanden wurde: daß es, wenn es darum geht, einen musikalischen Ausdruck für die Menschheit zu finden, kein Oben und Unten geben kann, sondern nur ein: alle Menschen werden Brüder. Für mich ist diese Dimension Beethovens ohne seine rheinische Jugend, in der er mit diesem Lebensgefühl aufgewachsen ist, nicht erklärbar. Und wir wissen, daß es eine schlicht, einfache Jugend war und daß schon dem Kind rheinische ‘Weetschafte“ nicht unbekannt waren, damit aber auch das Gefühl, das an rheinischen Theken immer schon dominiert hat: daß hier alle gleich sind. Oder, anders gesagt: Uns Ludwig muß in dem kaiserlich-königlichen Wien, wo er ja mit Fürsten, Adel und 'Jedönsräten' täglich konfrontiert war, schon beim Aufstehen „esu ene Hals“ gehabt haben. Um so mehr, als er auf sie angewiesen war.
     Das wäre für mich schon mal ein ganz wichtiger Aspekt, wenn es darum geht, den rheinischen Wurzeln im Werk Ludwig van Beethovens nachzugehen, eine, wie ich finde, lohnende Aufgabe. Übrigens ist ohne diesen ‘rheinischen Teppich’ eine Geschichte gar nicht auslotbar, nämlich die Geschichte, die Bettina Brentano berichtet, die ich aber gerne Beethoven selber erzählen lassen möchte:
„Wie ich in Teplitz ens der Goethe jetroffen habe, sind mir spazierenjejangen, un da kamen uns die Kaiserin von Österreich mit dem janzen Hofstaat und Jedönsräten und allem entjejen und der Goethe wollte denen schon Platz machen. Da hab ich für der Goethe jesagt: „Bleibt nur in meinem Arm hängen, sie müssen uns Platz machen, wir nicht“. Aber dem Goethe wurde dat mit jedem Schritt unanjenehmer, er reißt sich plötzlich von mir los, tritt an die Seite und zückt der Hut bis zur Erde. Ich möchte mal sagen: ein Bild des Jammers, ne. Dieser Dichter, und dann der Hut bis zur Erde. Ich natürlich mitten durch durch die janze Bagage, kurz der Kaiserin zujenickt, hatte sich der Fall. Die haben sich auch alle brav verneigt und mich jejrüßt. Paar Schritte bin ich dann weiter jejangen und    hab dann auf der Goethe jewartet. Und wie der kam, hab ich ihm jesagt, damit er es sich auch merkt: 'Auf Sie hab ich gewartet, weil ich Euch ehre und achte, wie Ihr es verdient, ne, aber jenen habt Ihr zu viel Ehre anjetan.' Hehe, hatte der natürlich einen Satz roter Ohren!“
So oder so ähnlich hat er es sicher im Griechen-Beissl erzählt oder im Sauerhof in Baden!
 
Das Verhältnis der Stadt Bonn nun zu Beethoven hat Aspekte, die mich sehr an die Geschichte vom Tellerwäscher, der zum Millionär geworden ist, erinnern. Der Tellerwäscher, der zum Millionär geworden ist, hat zwar Kollegen und Freunde gehabt, als er Tellerwäscher war, aber selten feiern diese den späteren Millionär als einen der ihren. Und die Millionäre feiern ihn auch kaum, weil er ja mal Tellerwäscher war. Die Wiener haben Millionen Anlässe zu feiern, die brauchen kein eigenes Beethovenfest. Die Bonner hätten allen Grund zu feiern, bekommen aber gerade das mangels Masse nicht mit Grandezza hin. Den Wienern langt das Heiligenstädter Testament und eine betagte Aufseherin, die lieber im Schubert - Haus ihren Dienst verrichten würde („...und was is? I häng da beim Beethoven umanand, dabei vergötter ich den Franzl!“), die Bonner tun sich schon schwer damit, Beethovens Geburtshaus vernünftig in Szene zu setzen. Zugegeben: es haben sich die Dinge gebessert, aber es ist noch lange nicht da, wo es sein könnte.
Also: die Wiener habens nicht nötig und die Bonner kriegen es nicht auf die Reihe. Und wer bleibt auf der Strecke? ‘Uns’ Ludwig.
Gut, könnte man sagen, selber Schuld. Wer sich sein Leben lang zu allen quer gelegt hat wie der pockennarbige Beethoven, muß sich nicht darüber wundern, wenn die Nachwelt ihn ver-nach-lässigt. Wie gesagt: die Tellerwäscher würden einen der ihren sicher feiern, wenn er einer der ihren geblieben wäre. Nur: wäre Ludwig Tellerwäscher, also in Bonn, geblieben, wäre sein Ruf sicher branchenintern geblieben, das heißt: bönnsch. Und da liegt der Hase im berühmten Pfeffer. Die Provinz verzeiht nur schwer, daß einer sie verlassen hat. Und genau das ist der Grund, warum die Bonner mit Beethoven nicht so wirklich zurecht kommen.
Das ist übrigens nicht nur ein Bonner Phänomen. Es ist ein bißchen so, als wäre es Absicht: oft sind es die unscheinbarsten Käffer, die einmal in ihrer Geschichte zu den Sternen greifen und schwupp! ein Genie in die Welt spucken.
Eben noch war die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf die Impressionisten gerichtet, da erblickt in Wie-Hieß-Das-Kaff-Noch-Gleich? Pablo Picasso das Licht der Welt. Oder Eisenach! Schon mal dagewesen? Oder Plön und Carl Maria von Weber, Kerpen und Michael Schumacher, Zwickau und Robert Schumann, Bonn und...und...ach ja, Ludwig van Beethoven.
     Gut, neben Beethoven hat Bonn schon noch einiges zu bieten: Pirandello war hier, Macke hat hier mit Franz Marc sein wundervolles (und einziges) Fresko gemalt (das nach Münster ins Westfälische Landesmuseum verkauft wurde, weil die Stadt Bonn kein Geld dafür hatte), die erste Leber wurde in Bonn transplantiert (Kölschtrinker ahnen: wo denn sonst?!) und Johann Peter Salomon, der Haydn nach London gebracht hatte und dort seine Konzerte organisierte und der den Namen „Jupiter-Symphonie“ erfunden hat, war ebenfalls gebürtiger Bonner (was in Bonn übrigens auch keiner mehr weiß). Also ein bißchen mehr als Zwickau oder Kerpen isset schon. Aber wenn ich mich da so umschaue, was Bonn alles für Beethoven tut, muß ich sagen: gar nicht mal so viel! Festspiele, die niemanden in Atem halten, ein Archiv, das immerhin eine Hausnummer von der Stadt erhalten hat (damit fängt ja Förderung an: zu wissen, wo das zu Fördernde überhaupt ist!), ein Geburtshaus, das dezent versteckt wird, damit es von Besuchern nicht abgenutzt werden kann „un noch netens Teilchen mem Namen vom Ludwig“ (müssen ja nicht gerade Beethovenkugeln heißen wie die Mozart-Teile in Salzburg, 'LudwigsMuuzen' tät’s ja auch).
    
Bonn geht immer noch mit Beethoven so um wie mit einem, der vergessen hat, sich beim Einwohnermeldeamt abzumelden: er ist zwar hier gemeldet, aber doch eigentlich in Wien, also sollen die doch gucken. Nur: daran sind nicht die Bonner allein schuld. Es liegt an Schindler und dem 19. Jahrhundert.
Heinrich Heine beschreibt übrigens Herrn Schindler so:
„Minder schauerlich als die Beethovensche Musik war für mich der Freund Beethovens, l'ami de Beethoven, wie er sich hier überall produzierte, ich glaube sogar auf Visitenkarten. Eine schwarze Hopfenstange mit einer entsetzlich weißen Krawatte und einer Leichenbittermiene. War dieser Freund Beethovens wirklich dessen Pylades? Oder gehörte er zu jenen gleichgültigen Bekannten, mit denen ein genialer Mensch zuweilen um so lieber Umgang pflegt, je unbedeutender sie sind und je prosaischer ihr Geplapper ist, das ihm eine Erholung gewährt nach ermüdend poetischen Geistesflügen? Jedenfalls sahen wir hier eine neue Art der Ausbeutung des Genius, und die kleinen Blätter spöttelten nicht wenig über den ami de Beethoven. 'Wie konnte der große Künstler einen so unerquicklichen, geistesarmen Freund ertragen!' riefen die Franzosen, die über das monotone Geschwätz jenes langweiligen Gastes alle Geduld verloren. Sie dachten nicht daran, daß Beethoven taub war.“
     Die beiden (Schindler und des 19. Jahrhundert) haben aus Beethoven einen derartigen Überflieger gemacht, daß kein richtiger Bonner Lust verspürt, so ein titanisches Überwesen als einen von uns anzusehen. Und diese Legenden wurden konsequent weitergestrickt. Beethoven als der um jeden Ton Ringende, von seinem Genie gepeitscht, von seinem Künstlerbewußtsein gezwungen, nur dem Erhabenen und Wahren zu leben, die Fackel der Menschheit quasi unter größten Qualen in der Hand haltend. Man muß nur Ewald Balser als Beethoven sehen, um zu verstehen: so kann es nicht gewesen sein. Und so war es auch nicht. Es war ziemlich anders:
Uns Ludwig war ein mit allen Wassern des damaligen Showbiz gewaschener Tastenlöwe, er pflegte sein Image als bärbeißiger Frauenheld durch betont unkonventionelles Verhalten, im Geschäftsleben war er ein durchtriebenes Schlitzohr, dem (fast) jedes Mittel recht war, er hatte den typisch rheinischen Blick fürs Reale und entsprechenden Humor und er war natürlich Alkoholiker, aber hallo!
Vater Johann hatte eine Weinhandlung, er starb quasi im Delirium, Ludwigs Oma war so ‘jot dabei’, daß sie nach Köln in ein Heim eingeliefert wurde (für damals heißt das wirklich was!) und er selbst trank in Wien (also immerhin an die 3o Jahre lang) pro Tag im Schnitt zwei Flaschen Weiß- und eine Flasche Rotwein. Er hatte halt nicht die Ausgeglichenheit eines Giuseppe Verdi - ebenfalls Weinhändlerssohn.
Wenn Freunde da waren, kam schon mal die ein oder andere Flasche Schaumwein dazu. Daran starb er ja letztlich auch. Schindler, sein erster Biograph, hat das halbe Leben Beethovens verbogen, um den Eindruck des 'Trunkenbolds' erst gar nicht entstehen zu lassen.
     Weiter: Beethoven eroberte Wien zunächst mal eher als Pianist denn als Komponist. Da ließ er aber auch nichts aus, was „imageförderlich“ sein konnte. Graf Fries veranstaltete ein Duell zwischen Steibelt, einem der größten Klaviervirtuosen seiner Zeit, und Beethoven. Man haut einander die Arpeggi um die Ohren und Ludwig ist schon dabei, den Lorbeer zu erringen, da setzt er noch einen drauf: er schnappt sich ein Notenblatt von Steibelt, dreht es - aber so, daß es alle sehen konnten - auf den Kopf und improvisiert aus den auf den Kopf gestellten Noten aus dem Kopf Variationen, die Steibelt mit roten Ohren aus dem Saal und aus Wien (das er nachts fluchtartig verließ) fegten. Er hat also nicht nur gegen ihn gewonnen, er hat ihn fertig gemacht. Und ganz Wien sprach davon.
Er hatte zwar nie eine Ehefrau, aber Affären genug, wenn sie auch nie lange hielten. Freund Breuning wundert sich in seinem Tagebuch darüber, daß Beethoven, obwohl meistens unrasiert, ungepflegt und z.B. im Zimmer herumspuckend, sehr viel Glück bei den Frauen gehabt habe. Aber das kennt man ja: Klavier spielen, komponieren, etwas ungepflegt auftreten und das alles mit einem machomäßig pockennarbigen Gesicht, dem auch etwas Animalisches anhaftet: da sind sie fertig, die Frauen. Aber man kennt auch, daß das nie lange hält. Also war er in all seinem Erfolg natürlich einsam und trauert gerade den nie Erreichbaren hinterher, wie sein Brief an die unsterbliche Geliebte zeigt.
    
Geschäftlich clever war er auch, eben ein richtig rheinisches Schlitzohr. Aber das mußte man damals wohl sein, es gab ja noch keine GEMA. Er verkaufte seine Kompositionen gleich mehreren Verlegern gleichzeitig (ab und zu jedenfalls), wunderte sich über deren Zorn, ließ quasi Extra-Ausgaben verfassen, die er für 5o Gold-Dukaten verkaufte und holte mit persönlichen Widmungen seiner Werke nochmal Kohle raus. Und wenn das nicht reichte, bot er das ein oder andere Werk auch noch zur Subskription an. Mehrfachvermarkter also und damit seiner Zeit - möchte ich sagen - geschäftlich weit voraus.
Und er hatte Humor, und zwar rheinisch-bissigen. So sagte er über die Wiener:
„Eigentlich hätte in diesen Zeiten jetzt eine Revolution ausbrechen müssen. Aber ich glaube, solange der Österreicher noch braunes Bier und Würstel hat, revoltiert er nicht.“
Hier trifft er doch das Wiener Lebensgesetz: „Da muß was g’schegn - aber da kann man nix mach’n“ mitten ins Herz!
Musiker hat er besonders gerne reingelegt. Proben zum Scherzo einer Sinfonie. Das Scherzo beinhaltet Rhythmuswechsel. Natürlich sagt der Dirigent Beethoven vorher kein Wort davon, läßt spielen und es passiert natürlich das, was passieren muß: 'bei der ersten scharfen Kurven hats das Orchester aussig’wurfen', da hat er gelacht und gesagt: das hätt er sich schon gedacht und daß er sich diebisch darüber freue, daß er so bügelfeste Ritter aus dem Sattel geworfen habe. Und weil er seine Wiener kennt, die nur ins Konzert gehen, um zu verdauen und gesehen zu werden, besetzt er die Hörner doppelt, um die Herrschaften aus den Sitzen zu schleudern!
Mit einem Wort: er war ein toller Hecht, uns Ludwig, und wert, daß wir ihn gebührend feiern. So langsam scheinen dies auch die Bonner zu begreifen. Lassen wir ihnen Zeit und schauen wir mal, wie das mit dem Beethovenfest und der Förderung des Archivs etc in ein paar Jahren ausschaut!
 
In diesem Sinne
Ihr
Konrad Beikircher


© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2014
Redaktion: Frank Becker