Bestürzend

„Himmler privat - Briefe eines Massenmörders“

von Frank Becker

Himmler privat -
Briefe eines Massenmörders“
 
Die in dem Buch von Katrin Himmler, Großnichte Heinrich Himmlers und von dem Historiker Michael Wildt akribisch gesammelten und kommentierten privaten Briefe Himmlers und seiner Frau Marga aus den Jahren 1927-1945, die in den 1980er Jahren in einem in Israel aufgetauchten Konvolut gefunden wurden, sind das bestürzende Dokument eines tödlichen Kleingeistes, der von 1933 an Deutschland und ab 1939 Europa brutal unterjochte. Im historischen Rückblick ist es umso bestürzender, als man derzeit am Beispiel Rußland wie in einem schrecklichen déja vu parallele Entwicklungen wiedererlebt: ein gewählter Diktator der den Vergleich mit Hitler nicht zu scheuen braucht und streckt die Hände mit historisch bekannten Argumenten nach fremdem Staatsgebiet aus, läßt sich von Marionetten und Vasallen den Boden bereiten, der ihm dann mit Hilfe des Dauerkotaus liberaler Mächte  - bloß nicht reizen, sonst wird es noch schlimmer ! – seine hegemoniale Politik ermöglicht.
 
Zurück zum Buch „Himmler privat – Briefe eines Massenmörders“: man erlebt anhand der noch erhaltenen privaten Korrespondenz zwischen dem Parteisoldaten Himmler, einem schwächlichen Würstchen, das sich als Braunhemd der SA zum Landsknecht stilisiert und durch unbedingte Vasallentreue in den Bereich der Macht aufsteigt und seiner frustrierten altjüngferlichen Frau, die all das Geschwafel mitmacht, um endlich einen Mann zu haben, den sie behalten kann, was Beharrlichkeit zu erreichen im Stande ist. Der Mann, der bedenkenlos eigene und Feinde des Staates mit seinem skrupellosen Machtapparat vernichtete und für den Mord an sechs Millionen deutschen und europäischen Juden verantwortlich war, macht auch in seiner privaten Korrespondenz seine völlige Führertreue und seinen Haß auf alles jüdische deutlich, worin er und Marga vollständig übereinstimmen.
Nach Anfängen scheinbarer Verliebtheit und brieflicher Turtelei wird die Ehe schon bald zum Instrument. Himmler braucht einen solidarischen familiären Hintergrund, den ihm das eigene Elternhaus nicht gegeben hat, Marga braucht die Sicherheit einer soliden Verbindung. Doch die unter Beschwörungsformeln errichtete Fassade bröckelt, Himmler kennt zwar zum einen fast nur noch seinen Dienst an der nationalsozialistischen Bewegung, ist unentwegt auf Reisen durchs Reich, dann durch Europa, sorgt sich aber aus der Distanz auch weiter um Frau und Kinder, als er eine gewisse Position eigener Macht erreicht und deren Wirksamkeit auf andere Frauen erkannt hat. Er legt sich nach eigener Ideologie eine „Zweitfrau“ zu, mit der er in Berlin zusammen lebt und zwei Kinder zeugt, während er seine Familie in der kriegsfernen Sicherheit Bayerns weiß.
 
Die nahezu unbeschränkte Macht über Tod und Leben, die Himmler als Chef der Geheimen Staatspolizei, der SS und schließlich Chef des Reichskriminalpolizeiamts sowie der gesamten Polizei des Reichs und als Reichsinnenminister genießt, macht den Weg für die Bestie frei, die in dem biederen Technokraten, Sohn eines Münchner Gymnasialdirektors – ein Gegenentwurf zum „Arier“ wie Hitler, Goebbels, Streicher, Göring und viele andere Träger hoher Funktionen der NS-Führung – schlummert. Das, die bedingungslose Führer-Gefolgschaft, die Verwaltung der Gewalt und des Krieges durch seine Briefe parallel zu erleben, während er als „lieber Papi“ dem „Mamilein“ Briefe schreibt und Süßigkeiten schickt, ist zutiefst bestürzend. Die Kälte für das Schicksal der Juden, die aus den Briefen beider spricht, die Gleichgültigkeit gegenüber den Kriegsgreueln machen sprachlos.
Als der quasi bis zur letzten Minute (20.4.1945) überzeugte Nationalsozialist endlich Hitlers Fall und den völligen Zusammenbruch des Reichs erkennt, versucht er sich abzusetzen und unterzutauchen. Nach seiner Festnahme am 22.5. 1945 entzieht er sich der Verantwortung durch Selbsttötung. Seine Frau und seine Tochter überleben den Krieg und hielten noch bis in 1990er Jahre Kontakte zu NS-Nachfolgeorganisationen. Ziehsohn Gerhard von der Ahé kehrte 1955 als Spätheimkehrer aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück.
 
Viel Neues erfährt man durch die Lektüre der Briefe über Himmlers Leben und seine Karriere nicht. Zwar nicht gänzlich unnötig, doch oft störend sind oft die vielen Querverweise, Fußnoten und ausufernden Kommentierungen, die zwar Hintergründe erläutern, jedoch weit weg vom Faden der Lektüre führen. Da wäre weniger mehr gewesen, bzw. hätte sich ein Ergänzungsband zum eigenen Nachlesen angeboten.
 
Himmler privat - Briefe eines Massenmörders
Katrin Himmler, Michael Wildt (Hrsg.)
© 2014 Piper Verlag, 400 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, herausgegeben und kommentiert von Katrin Himmler und Michael Wildt. Mit 28 Fotos und 7 Faksimiles im Text, Quellen- und Literaturverzeichnis, Personenregister, Personenglossar, Bildnachweis, Lesebändchen 
ISBN: 978-3-492-05632-8
€ 24,99 [D], € 25,70 [A], sFr 35,90
 
Weitere Informationen:  www.piper.de