Karl Kunz-Ausstellung in Wuppertal

Die Eröffnungsworte

von Gerhard Finckh

Karl Kunz, Chimären II - Foto © Frank Becker

Dr. Gerhard Finckh zur Eröffnung der großen Karl Kunz-Ausstellung in Wuppertal:


Lieber Michael Kunz, lieber Wolfgang Kunz,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
 
1983 bin ich dem Werk von Karl Kunz zum ersten Mal begegnet, das war im Zeughaus in Augsburg.
Damals war ich noch Student und mein Doktorvater, Professor Schmoll gen. Eisenwerth, lud seine Doktoranden zu einem sonntäglichen Ausflug von München nach Augsburg ein. Er versprach uns damals ein unvergeßliches Erlebnis und sagte, wir könnten dabei auch viel über die Kunstgeschichte und die Mechanismen des Marktes lernen. Tatsächlich habe ich diese Augsburger Ausstellung von 1983 noch bis heute im Gedächtnis, und ich habe mich riesig gefreut, als Wolfgang Kunz uns vor zwei Jahren einige Zeichnungen und dann auch zwei prächtige große Gemälde seines Vaters geschenkt hat.
Vielleicht, meine Damen und Herren, kennen Sie das ja auch, daß Sie Erinnerungen an Ereignisse in Ihrer Jugend haben und daß Sie immer wieder mal daran denken und daß Sie dann, wenn sich die Gelegenheit ergibt, freudig zugreifen und etwas realisieren, an das Sie damals vielleicht gar nicht so konkret gedacht haben, das aber jetzt, zu einem viel späteren Zeitpunkt, und was Karl Kunz und mich betrifft, sind das ja nun 30 Jahre, ganz logisch und selbstverständlich auf der Hand liegend erscheint. Ich will hier nicht von einem Jugendtraum sprechen, der sich heute erfüllt, aber ich freue mich, daß wir hier im Von der Heydt-Museum jetzt die Ausstellung eines Künstlers realisieren können, der mir am Herzen liegt.
 
Karl Kunz, meine Damen und Herren, gehört heute nicht zu den großen Stars des Kunstbetriebs, er hat nie dazu gehört, aber trotzdem nimmt er eine wichtige Position in der Kunstgeschichte ein.
Man kann ihn als eine Vermittlerfigur, als Dreh– und Angelpunkt in der Geschichte der Kunst des 20. Jahrhunderts sehen, als einen Künstler, der ältere Strömungen aufgegriffen und diese in die Zukunft weiterentwickelt und an seine Schüler weitergegeben hat.
Geboren 1905 in Augsburg, erhielt er nach dem Ersten Weltkrieg 1919-1921 Unterricht bei dem Maler Gustav Schmidt in Augsburg. 1921-1927 studierte er bei Hans Hofmann an dessen privater Kunstschule in München. Karl Kunz ist also kein Akademieschüler im klassischen Sinn, sondern er studierte bei einem der interessantesten Künstler der 20er Jahre. Hans Hofmann (1880-1966) bezeichnete sich selbst als Schüler von Matisse (Café du Dôme, Paris), emigrierte 1932 in die USA und gründete dort wieder eine eigene Malschule. Er brachte die europäische Kunst in die USA. Mark Rothko, Barnett Newman, Ad Reinhardt hörten seine Vorlesungen, und mit Jackson Pollock stritt er sich darum, wer das „Dripping“ und das „all over“ erfunden habe.


Karl Kunz, Das Haus des Schlächters - Foto © Frank Becker
 
Dieser Hans Hofmann war sicher ein sehr unkonventioneller Lehrer, der offen war für viele Stile und Strömungen und der eine riesige Malschule in München unterhielt, zu der junge Künstler aus der ganzen Welt pilgerten. Bei ihm konnte Karl Kunz die moderne Kunst inklusive Matisse und Picasso, die Surrealisten kennenlernen und dieses Wissen um die Moderne sollte Kunzens Kunst fortan auch prägen. Nach dem Studium in München studierte Kunz in Berlin, dann in Halle an der Burg Giebichenstein, wo er auch Assistent von Erwin Hahs war.
1933 wurde er aber von der Kunstgewerbeschule der Burg Giebichenstein entlassen, er erhielt als „entarteter Künstler“ Malverbot und wurde wegen „Judenbegünstigung“ zwei Monate inhaftiert.
1934 kehrte er nach Augsburg zurück und übernahm die elterliche Schreinerei, Holz- und Furnierhandlung und malte heimlich weiter. In einer Bombennacht des 2. Weltkriegs ging das alles aber unter, auch der größte Teil seines bisherigen Schaffens - 29 Bilder -, so daß Karl Kunz 1945 ganz von vorne als freischaffender Künstler beginnen mußte. In den 40er Jahren hatte er Reproduktionen von Picasso-Werken und anderen Malern „unter dem Ladentisch“ entdeckt und befaßte sich damit.
 
Und dieser Neubeginn war äußerst schwierig. Zwar bemühte sich die Kunstwelt in den ersten Nachkriegsjahren durchaus um eine Rehabilitierung der einst als „entartet“ verfemten Künstler - vor allem die Expressionisten des Blauen Reiters und der Brücke wurden häufig ausgestellt und verstärkt von den Museen angekauft, um die durch die Barbarei der Nazis in der Aktion „Entartete Kunst“ gerissenen Lücken wieder zu schließen -, aber ein Anknüpfen nur beim Expressionismus war natürlich nicht möglich. Zuviel hatte sich in der Zwischenzeit entwickelt. Abgesehen von der Neuen Sachlichkeit waren auch Dada und Surrealismus auf den Plan getreten und - was erst jetzt richtig bemerkt wurde: die Abstraktion. Willi Baumeister, Ernst Wilhelm Nay und Fritz Winter, um für Deutschland nur einige zu nennen, hatten schon vor dem Zweiten Weltkrieg abstrakt, ungegenständlich, gearbeitet, mit Beginn der 50er Jahre aber drängte die Abstraktion überall an die Spitze. Sei es in Frankreich mit der „Ecole de Paris“ oder in den USA mit den „Abstract Expressionists“, und auch in Deutschland verdrängte die Abstraktion die Gegenständlichkeit nach und nach. Mit dem zunehmenden Ost-West-Konflikt forcierten die Mächte auch die Blockbildung in der Bildenden Kunst. Während im Einflussbereich der Sowjetunion, insbesondere in der DDR der „Sozialistische Realismus“ entstand und die Abstraktion zunehmend als „Formalismus“ verächtlich gemacht und beiseite geschoben wurde, etablierte sich in der westlichen, von den USA dominierten Hemisphäre und vor allem in Westdeutschland die Abstraktion als – wie der Slogan damals lautete – „Weltsprache“, als die Formensprache der freien Bürger, wohingegen die gegenständliche, abbildende Kunst als altmodisch und links in Verruf kam.
 
Karl Kunz, meine Damen und Herren, geriet mit seiner Malerei genau in diesen Konflikt. Mit seiner Malerei, in der er versuchte, das Erlebnis des 2. Weltkriegs zu verarbeiten, in welcher er die surrealistischen Strömungen aufnahm und immer wieder auch Picasso, vor allem dessen Guernica-Bild, zitierte, in welcher er mit Hilfe der großen Antike und ihrer Dramen und mit einem starken Rückbezug auf klassisches Gedankengut (Dantes Inferno) versuchte, eine neue Bildordnung zu etablieren, die in symbolträchtigen Überhöhungen der Vergangenheit wie der Gegenwart einen modernen, zeitgemäßen Ausdruck verleihen sollte, war er angesichts der stark von den USA und insbesondere der CIA geförderten Abstraktion zum Scheitern verurteilt.
 
Zwar konnte Karl Kunz seine Werke immer wieder ausstellen, so war er
·                    1946 an der „Allgemeinen Kunstausstellung“ in Dresden mit Willi 
·                    Grohmann und Hilfe der sowjetischen Militärregierung beteiligt,
·                    1947 Mitorganisator der wegweisenden Ausstellung „Extreme
·                    Malerei“ in Augsburg mit Baumeister, Geiger, Winter, Fietz,
·                    Ackermann und Westphal
·                    1950 an der heute unter Kunstkennern berühmten Ausstellung
·                    „Das Menschenbild unserer Zeit“  (mit Sedlmayr, Baumeister u.a.)
·                    beteiligt,
·                    und 1954 waren seine Bilder im Rahmen einer Surrealismus-
·                    Ausstellung sogar im Deutschen Pavillon auf der
·                    Biennale von Venedig zu sehen
 
aber der Durchbruch an die Spitze wollte ihm nicht gelingen. Die „Pop-Art“, die „Konkrete Kunst“, später die sogenannten „Jungen Wilden“ verdrängten seine Kunst.
 
Es scheint so, aber um das abschließend zu beurteilen, ist es wohl noch zu früh, als sei lange nach seinem Tod am 22. Mai 1971, im Zuge der Wiederentdeckung der gegenständlichen Malerei in Deutschland, die in den 80er Jahren einsetzte und sich nach dem Fall der Mauer mit der „Leipziger Schule“ rasant fortsetzte, auch das Interesse an der Malerei von Karl Kunz wieder zum Leben erwacht, in den vergangenen zehn Jahren gab es immer wieder Ausstellungen seiner Werke, aber ich denke, um Karl Kunz (wieder) zu dem Stellenwert in der Kunstgeschichte zu verhelfen, der ihm zukommt, ist noch einiges zu tun.
 
Unsere Ausstellung hier in Wuppertal ist sicher eine Etappe auf diesem Weg, und ich bin sicher, wenn Sie, lieber Michael, lieber Wolfgang Kunz, weiterhin so aktiv am Ruhm Ihres Vaters arbeiten wie bisher, wird das auch gelingen.
Meine Damen und Herren, bis hierher habe ich viel über die äußeren Umstände des Lebens und der Kunst von Karl Kunz gesprochen, aber, so werden Sie sich fragen, was macht das Besondere dieser Kunst nun aus? Was ist es, das das renommierte Von der Heydt-Museum veranlaßt, 2014 eine Ausstellung über Karl Kunz zu realisieren?


Karl Kunz, Stilleben 1961 - Foto © Frank Becker
 
Was macht diesen Künstler so sexy, daß junge Kunsthistoriker und auch Galeristen vor diesen Bildern stehen und ganz aus dem Häuschen geraten?
Ich denke, es sind mehrere Faktoren, die hier zusammenkommen.
·                    Da ist zum einen eine Retro-Welle, die seit einigen Jahren durchs Land schwappt. Die Nierentisch-Zeit der 50er Jahre ist ebenso „in“ wie die Sgraffitto-Zeit der 60er Jahre, in welchen die deutsche Gesellschaft einen Neuanfang gewagt hat. Nicht nur auf Flohmärkten, auch auf den großen Designermessen erfreuen sich Objekte aus den 50er und 60er Jahren großer Beliebtheit und erzielen in Auktionen mittlerweile wieder hohe Preise
·                    Die Kunstgeschichte beobachtet zunehmend Phänomene in der zeitgenössischen Kunst, die sich rückbeziehen auf die 50er und 60er Jahre. In Kiel gab es, um nur ein Beispiel zu nennen, dieses Jahr eine Ausstellung, die sich unter dem Titel „Old school-Anachronismus in der zeitgenössischen Kunst“ mit Phänomenen wie Enkaustik, oder auch Elger Essers Annäherung an die fotografischen Verfahren des 19. Jahrhunderts, oder der Altmeister-Malerei von Anita Albus auseinandersetzt.
·                    Und auch in Galerien und Museen werden immer wieder ältere Künstler wiederentdeckt, die auf einen interessierten Markt stoßen. Denken Sie nur an unseren Ankauf eines Werkes von Günter Weseler aus dem Jahr 1972,den wir 2012 getätigt haben……
·                    Aber ich glaube, es sind nicht nur solche Äußerlichkeiten wie ein Interesse am Retro, es ist vor allem etwas anderes, das unser Interesse an den Werken von Karl Kunz neu aufleben läßt. Es sind seine Qualitäten.
·                    Ganz bewußt spreche ich hier im Plural; denn die Werke von Karl Kunz sind äußerst vielschichtig, sie sind auf den ersten Blick irritierend, verstörend sogar, wenn ich an Bilder wie die „Kreuzigung“ von 1959, die uns Wolfgang Kunz 2011 geschenkt hat. In solchen Bildern gibt es eine so umwerfende, rasante Dynamik, einen Knall, als ob ein Jaguar mit einem Porsche zusammenprallt und die Insassen in Einzelteilen durch die Luft gewirbelt würden, während gleichzeitig Antigone und Medea Klagegesänge anstimmen.
·                    Auf den zweiten Blick geben die großformatigen Bilder Strukturen zu erkennen: steile Diagonalen, wilde Kurven überlagern scheinbar ruhige, monochrome Flächen, zerteilen, durchpflügen und zerwirken sie, zwingen den Betrachter noch genauer hinzuschauen, sich das Bild Kompartement für Kompartement anzusehen, sich anzueignen und dabei zu versuchen, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen und den Himmel wieder am oberen Bildrand zu verorten und zu erkennen.
·                    Das sind aber nicht nur ganz außergewöhnliche Großstrukturen, die wie Ereignisse über den ahnungslosen Betrachter hereinbrechen, in jedem Teilsegment finden sich oder lauern sogar, unerhörte Reize, Mikrobilder im Makrokosmos des Ganzen, kleine und sogar winzige Fenster, die den Blick und den Gedanken auf noch ganz Anderes lenken und damit das zuerst gesehene ergänzen, relativieren, in Frage stellen und hinter dem vermeintlich sofort erkannten Sinn weitere Ebenen, weitere Bühnen, neue Gedankenwelten eröffnen.
·                    Man hat das Gefühl, man könne stundenlang vor einem einzigen dieser Bilder stehen und hätte längst nicht alle Details erkannt, geschweige denn es geschafft, diese Details in eine konkrete Beziehung zueinander zu setzen.
·                    Es steckt in diesen Bildern eine so unerhörte Vitalität, eine Körperlichkeit, eine drängende Sexualität, daß sie nicht zu übersehen ist – und doch, meine Damen und Herren, ist diese explosive Mischung aus Dynamik und Eros immer auch gezähmt, gebändigt und rückgebunden an einen großen Begriff, der heute nur noch selten Verwendung findet, an die Humanität.
 
Der Mensch, seine Geschichte, seine Gefühle, seine Freude – und in vielen Bildern auch sein Leid und seine Schmerzen – stehen im Mittelpunkt dieser Bilder von Karl Kunz. Immer geht es um die Befindlichkeit des Individuums – ob das mit mehr oder weniger Zitaten aus der Antike verbunden ist oder mit der Pop-Art oder mit dem Surrealismus oder mit formalen Elementen, die typisch sind für die 50er und 60er Jahre, das ist vielleicht nicht so wichtig: wichtig ist, daß es in diesen Bildern immer um den Menschen geht, um seine Träume, Chimären, Nachtmahre, um die Lust, seine Freude, sein Sein.
Dieses Menschenbild, das so hochkomplex aufgelöst ist, trägt die Malerei von Karl Kunz in einer so perfekten, exzellenten Manier vor, daß man sie ohne weiteres mit den subtilsten Werken und Zeichnungen der Alten Meister vergleichen kann.
Diese Bilder lassen den Betrachter nicht los, sie verfolgen ihn geradezu, - Sie werden das merken, wenn Sie sich morgen ganz unvermutet daran erinnern -, diese Bilder sehen Sie an, und sie fordern Sie auf, Stellung zu beziehen. Es ist eine Art kategorischer Imperativ in diesen Bildern, oder wie Rainer Maria Rilke das so unübertrefflich formuliert hat: „Da ist keine Stelle, die Dich nicht sieht, Du mußt Dein Leben ändern!“
Das meine Damen und Herren ist es, was diese Kunst von Karl Kunz so bedeutend macht und uns zwingt, sie jetzt und hier wieder zu entdecken.


Karl Kunz 1961 - Foto © Dominique Durmoulin
 
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich, bevor ich zum Schluß komme, noch ein paar Worte des Dankes sagen: Ich danke zu allererst Ihnen, lieber Michael, lieber Wolfgang Kunz, daß Sie diese wunderbare Ausstellung ermöglicht haben. Ich danke auch allen anderen Leihgebern, die mit ihren Werken zum Gelingen dieser Ausstellung beigetragen haben. Ich danke Karin Thomas sehr herzlich für Ihren interessanten Text im Katalog.
Und ich danke Frau Dr. Birthälmer und Frau Dr. Eickhoff, die sich als Kuratorinnen um diese Ausstellung gekümmert haben, und ich danke allen Mitarbeitern für ihre intensive Arbeit an diesem für mich so wichtigen Projekt.
 
Ihnen allen, meine Damen und Herren, danke ich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen jetzt einen schönen Rundgang durch die Ausstellung.
 
Gerhard Finckh