Werner Nekes 70

Sich von der Welt ein Bild machen

von Joachim Klinger

 Werner Nekes 70

 
Wer sich von dieser Welt „ein Bild machen” will, muß sich auf eine Fülle von Erscheinungen und Eindrücken einstellen. Veranlaßt ihn ein kreativer Antrieb, sich damit auseinanderzusetzen und gestalterisch zu wirken – sei er nun Zeichner, Maler, Bildhauer, Fotograf oder Filmemacher -, muß er ein wachsames, neugieriges Auge haben. Das Sehen und Beobachten geht dem Schaffen voraus.
Werner Nekes, der am 29. April 2014 seinen 70. Geburtstag in Mühlheim an der Ruhr feiern konnte, hat ein solches Auge. Ich gehe noch einen Schritt weiter: Er hat den „Entdeckerblick”. Was anderen unauffällig, unscheinbar vorkommen mag, weckt sein Interesse. Er vermutet, er spürt: dahinter verbirgt sich noch etwas, gar etwas Besonderes.
 
Vor Jahren besuchte ich ihn in seinem „Mühlheimer Lebensraum”, seinem unmittelbar an der Ruhr gelegenen Domizil. Als Filmkünstler kannte und schätzte ich ihn schon länger. Nun wollte ich den Sammler kennenlernen. In die Vorgeschichte des Films wollte ich einsteigen.
Werner Nekes gab mir eine kleine weiße Tasse in die Hand, Porzellan oder Steingut, gänzlich unauffällig. Ich murmelte etwas von „Puppengeschirr”. Nein, da lag ich falsch. Das Täßchen stammte aus Indien. Britische Kolonialoffiziere tranken daraus einen Schluck Whisky oder Kognac. Na und? Nekes füllte das Tässchen mit einem Fingerbreit Whisky und sagte: „Nun schauen Sie einmal hinein!” Durch die Lichtbrechung in der bräunlichen Flüssigkeit wurde ein nackter weiblicher Körper in obszöner Pose auf dem Boden der Tasse sichtbar. Mit dem Austrinken verschwand das Bild, und die Verlockung zur Wiederholung stellte sich ein …
 
Dieses Erlebnis zeigt den Entdecker Werner Neckes. Die Vorgeschichte des Films offenbart wahre Wunderwelten. Wobei man davon ausgeht, daß die Erfindung des Films der Kulminationspunkt einer langen Entwicklung ist, die sich um die Wiedergabe oder die Simulierung von Bewegungsvorgängen, um das Spiel von Licht und Schatten, um Farbenzauber und phantastische Illusionen bemüht. Man spricht auch von der „Geschichte der bewegten Bilder” und faßt entsprechende Darstellungen mit dem Satz zusammen: „Als die Bilder laufen lernten”. Im Düsseldorfer Filmmuseum kann man sich hierzu den nötigen Einblick und Überblick verschaffen. Immer wieder lösen z.B. Guckkästen mit Mondscheintransparenten und Laterna magica–Bildern Begeisterung aus.
Aber das Sammler-Anliegen von Werner Nekes greift weiter zurück und greift weiter aus. Es geht ihm um die Geschichte des Sehens, und es geht ihm auch um optische Täuschungen. Er erkundet ebenso wissenschaftlich präzise wie neugierig-listig, wie sich das menschliche Auge betrügen und überlisten läßt. So interessieren ihn medizinische Werke über die Anatomie des menschlichen Körpers aus der Zeit des Paracelsus (1493- 1541) ebenso wie Anamorphosen, auch Vexier- oder Suchbilder genannt, die perspektivisch verzerrt sind und nur mit Hilfe eines zylindrischen Spiegels entschlüsselt werden können.
 
Wer sich auf das Bild und das Abbild einläßt, der gerät auch an das Trugbild und das Zerrbild. Das Geheimnis des Sehes verbindet sich mit dem Bereich der Täuschung und der Vortäuschung, also der Illusion. Welcher Filmliebhaber wüßte nicht um die Kombination von Dokumentation und Fiktion, um das Spiel der Realität und mit der Realität?!
Der Filmkünstler Nekes hat auch seine Freude an Meggendorfer Verwandlungsbildern, bei denen man durch das Ziehen an einem Pappstreifen erreicht, daß sich lammellenartig angeordnete Bildteile zu verschiedenartigen Gesamtdarstellungen verschieben lassen. Oder – der Sinn für humorvolle Verzerrungen führt direkt zur Karikatur.
Schön, daß Werner Nekes uns z.B. mit seinem Film „Was geschah wirklich zwischen den Bildern?” teilhaben läßt an der Wunderwelt des bewegten Bildes! Eine größere Anzahl von Video-Kassetten informiert den interessierten Laien über die Entwicklung zum Film anschaulich und unterhaltsam zugleich.
 
Sammlertätigkeit und wissenschaftliche Akribie haben den Filmkünstler Werner Nekes zu einem international gefragen Ratgeber gemacht. So bei der Gründung von Museen für Film und Medien in Tokio und Los Angeles. Wunderbare Großausstellungen der Sammlungsobjekte z.B. in Österreich und England haben opulente Kataloge hervorgebracht, die bei Kennern als Schätze verehrt und aufbewahrt werden.
Sein Wissen und seine Erfahrungen bei der praktischen Filmarbeit hat Werner Nekes als Hochschullehrer an Medienkunsthochschulen z.B. in Hamburg und Köln an Studierende weitergegeben. Das Land Nordrhein-Westfalen hat ihn zum Mitglied der NRW-Akademie für Kunst und Wissenschaft ernannt. Seine Filmwerke machen alles spürbar / erlebbar, was die Sammeltätigkeit von Werner Nekes kennzeichnet: den listigen Blick, die spielerische Neugier, die Freude am Experiment, den versteckten Hintersinn, die Vorliebe für Überraschungen. Hinzukommt die überlegene Organisation des Filmgeschehens, also die meisterhafte Regie.
Natürlich hat mir „Johnny Flash” Spaß gemacht. Aber „Uliisses” halte ich für eines der bedeutendsten Kunstwerke des 20. Jahrhunderts.
Werner Nekes hat die Kunst bereichert, er hat auch unser Sehen erweitert. Möge er noch manches verwirklichen, was uns die Augen zum Staunen öffnet!
 
Was wird der Magier vom Mühlheimer Kassenberg zu meiner Gratulation sagen? Vielleicht mit einem Lächeln: „Ich sehe was, was du nicht siehst.”
 
 
© 2014 Joachim Klinger

Weitere Informationen: www.wernernekes.de