Ein unterhaltsamer Ziegelstein

André Breton – „Anthologie des Schwarzen Humors“

von Frank Becker

Sommervergnügen
(Alphonse Allais)
 
 
Ich habe auf einem Friedhof einen Briefkasten gesehen.
(Xavier Forneret)
 
Rogner & Bernhardt kann sich das Verdienst zuschreiben einem Klassiker, der 1940 erstmals erschienen und lange vergriffenen „Anthologie des schwarzen Humors“ von André Breton (1896-1966), zu neuer Bedeutung und zu einem aktuellen Platz in den zeitgenössischen Literaturlisten verholfen zu haben, zugleich anspruchsvollen Lesern dieses köstliche Kompendium phantastischer, spitzfindiger, nicht nur gelegentlich bitterböser, jedoch durch und durch schwarzhumoriger Literatur erneut zugänglich gemacht zu haben. Im Umfang und der Auswahl gegenüber der Erstfassung unverändert, doch kurz vor Bretons Tod 1966 bezüglich mancher Übersetzung verbessert ist diese Anthologie ein grandioser Spaziergang durch die europäische Literatur mit Abstechern nach Nordamerika. Sie folgt von Jonathan Swift bis Jean Pierre Duprey chronologisch der Entwicklung des Abseitigen und Skurrilen in der Literatur vom 17. bis 20. Jahrhundert und ist Beleg für die Belesenheit des Franzosen, der natürlich Autoren seiner Zunge (Rimbaud, Apollinaire, Jarry, Allais, Baudelaire, de Sade, Gide, Prévert, Duchamp u.a.m.) in den Mittelpunkt seiner exquisiten Sammlung von 45 delikaten Namen stellt, aber eben auch Köpfe wie Christian Dietrich Grabbe mit „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“, Franz Kafka, Jakob van Hoddis, Lewis Carroll, Georg Christoph Lichtenberg, Hans Arp, O. Henry, selbstverständlich E.A. Poe und den anfangs genannten Jonathan Swift als „Initiator des Schwarzen Humors“.

„Die allgemeine Vorstellung vom schwarzen Humor und sein Begriff stammen aus dieser berühmten Anthologie, die 1939 vier Tage vor dem Einmarsch der Wehrmacht in Paris herauskam. André Breton, der eigentliche Erfinder des literarischen Surrealismus, begreift den kritischen, den schwarzen Humor als eine Kunstform, deren wahre Initiatoren Swift und der Marquis de Sade gewesen sind. Es sind die Überempfindlichen, die Ruhelosen mit dem wachen Gewissen, die ihr Denken in die Lockform des schwarzen Humors gebracht haben. Versammelt sind Beiträge von 45 Autoren; maßgeblich für die Auswahl war eine Berücksichtigung surrealistischer Gesichtspunkte. André Breton schrieb als Herausgeber ein ausführliches Vorwort und Einleitungen zu den Beiträgen sowie eine bibliografische Übersicht.“ (Verlagstext)
 
Breton hat seit der Erstausgabe keine zusätzlichen Beiträge mehr aufgenommen, seine Sukzessoren waren gut beraten, weise ebenfalls darauf zu verzichten. So behält die „Anthologie des Schwarzen Humors“ ihren Ewigkeitswert. Eloquente, von André Breton verfaßte begleitende Kurzbiographien der Autoren sind jedem Beitrag voran-, Quellen und bibliographische Angaben nachgestellt.
In dem originellen Format 10,5 x 21 x 3 cm paßt dieser unterhaltsame Band im Format eines Ziegelsteins zwar nicht in jede Jacken-, nicht einmal Mantel- oder Handtasche, liegt aber blendend in der Hand und eignet sich neben der regelmäßigen häuslichen Nutzung bestens für Bahn-, Flug- und Autoreisen, sowie in den Koffer gepackt für jeden, besonders den verregneten Urlaub. Sollte man haben. Bekommt unsere Auszeichnung, den Musenkuß.
 
Wer mit offenen Augen durch die Straßen geht,
der wird bestimmt die fidelsten Gesichter
in den Trauerkutschen sehen.
(Jonathan Swift)
 
André Breton – „Anthologie des Schwarzen Humors“
2014  Rogner & Bernhard, 555 Seiten, Paperback, 211mm x 106mm x 35mm
ISBN: 978-3-8077-1083-9
17,90 €
 
Weitere Informationen: www.rogner-bernhard.de