Schulgeschichten

„Hic, haec, hoc. Der Lehrer hat ’nen Stock“ – Schulgeschichten aus dem Ruhrgebiet

von Frank Becker

Nie habe ich die Schieblehre kapiert…
 
Sie zählen für die meisten von uns zu den schönsten des Lebens: Erinnerungen an die Schulzeit. Wer ließe nicht gerne jene Jahre zufrieden Revue passieren, in denen wir fürs Leben gelernt haben, Kameraden und Freunde gefunden, erste große Liebe erlebt, Unfug getrieben, vor Prüfungen gezittert, Lehrer auf die Schippe genommen oder erste heimliche Gelage gefeiert haben. Ob einklassige Volksschule auf dem Dorf, Humanistisches Gymnasium mit Studienräten auf dem Katheder oder bürgerliche Realschule in der Stadt – von der Schultüte bis zum Einjährigen oder Abitur haben wir die glücklichsten Jahre unseres Lebens durchmessen. Viele haben es damals noch nicht so empfunden, aber später umso deutlicher erkannt. Andere haben, wie viele meiner Kameraden und ich, die Jahre als Schüler nach den ersten überwundenen Schrecken des Rohrstocks sehr bald mit vollen Zügen im Bewußtsein ihres Wertes genossen. Ob es daran gelegen hat, daß wir schon in jungen Jahren Leonhard Franks „Die Räuberbande“ gelesen oder Heinrich Spoerls Roman „Die Feuerzangenbowle“ so lange wieder und wieder durchgeschmökert haben, bis das Buch schier auseinanderfiel, ob es die ebenso inspirierenden Lektüre von Bernd Rulands „Flegeljahre am Rhein“ war, die es uns darin bestätigte – noch heute denken viele von uns mit leiser Wehmut an Kindheit und Jugend, an die Schulzeit zurück, in der unstillbaren Sehnsucht nach dem Unwiderbringlichen. Es sind dies die Erinnerungen an Schiefertafel, Griffel und Federmäppchen im ledernen Ranzen, an zerkaute Bleistifte, den Geruch von Schulheften, Löschblattpapier und Füllhaltertinte, an die heimliche Lektüre von Akim, Sigurd und Nick unter der Schulbank und die eingeritzten Sprüche obendrauf.
 
Etliche Herausgeber von Anthologien haben sich in der Vergangenheit bereits des Themas angenommen und Erinnerungen ehemaliger Schüler und ihrer Lehrer zusammengetragen. Mit einer charmanten Sammlung von authentischen Schulgeschichten aus dem Ruhrgebiet läßt auch der Verlag Henselowsky Boschmann ein ganzes Jahrhundert Schule wieder lebendig werden: Achtunddreißig Autoren aller Generationen von den Geburtsjahren 1904 bis 1991 erzählen aus ihrer Schulzeit zwischen Witten und Wanne, Essen und Eickel. Daß alle durch ihre späteren Berufe irgendwie dem Schreiben verbunden sind, als Schriftsteller, Journalist, Student, Wissenschaftler oder gar als Lehrer, hat den Reminiszenzen unterhaltsam literarische Form gegeben. Der große Karl Otto Conrady, dessen Gedicht-Anthologie in keiner Bibliothek fehlen sollte, ist dabei, Heinrich Peuckmann, Thomas Althoff und Herbert Reinecker, „Vater“ von „Der Kommissar“ und „Derrick“. Sie erzählen heiter und ernst aus der Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts, als mit Stolz von Sexta bis Prima Schülermützen als Zeichen des Rangs getragen wurden – die Redensart „eins rauf mit Mütze“ für die Versetzung stammt aus dieser Zeit – von den Veränderungen in Lehrstoff und Pädagogik, von Schule im Zeichen von Unrecht und Krieg im Dritten Reich, dem Neuanfang nach 1945, der bewegten 68er Zeit, von gerechten und ungerechten Lehrern, Kopfnüssen, Mathe und Latein, Pubertät und Abiball – die ganze Palette vom Kindsein und Erwachsenwerden. Schmökerstoff zum Versinken.

„Hic, haec, hoc. Der Lehrer hat ’nen Stock“ – Schulgeschichten aus dem Ruhrgebiet (Hrsg. Joachim Wittkowski)
2007 Henselowsky Boschmann, 312 Seiten, gebunden, Lesebändchen, Autorenbiographien
ISBN 978-3-922750-70-3
16,90 €
 
Weitere Informationen:  www.ruhrgebietsliteratur.de
 
Ebenfalls zur Lektüre empfohlen (Auswahl):
„Unvergeßliche Schule“ – Hrsg. Werner Wien
„Wir plaudern aus der Schule“ – Hrsg. Wilhelm Kayser
„Unvergessene Schulzeit“ – Hrsg. Jürgen Kleindienst
„Es hat geschellt“ – Hrsg. Fritz Fröhling
„Hörst Du´s schlagen halber acht?“ – Hrsg. Christoph Haacker
Heinz Scholz – „Erlebte Schule“
Fritz Müller-Partenkirchen – „Kaum genügend“
Ernst Heimeran – „Lehrer, die wir hatten“
Leonhard Frank - „Die Räuberbande“
Heinrich Spoerl - „Die Feuerzangenbowle“
Bernd Ruland - „Flegeljahre am Rhein“