Die Forelle

von Hanns Dieter Hüsch

       © Jürgen Pankarz
Die Forelle
 
Ich möchte Ihnen gerne noch von einer Vorstellung berichten, nicht von einem Auftritt, sondern von einer Sache, die ich mir schon sehr sehr lange immer mal wieder zwischendurch vorstelle. Sie wahrscheinlich auch, könnte ich mir durchaus denken. Und zwar - ich stelle mir von Zeit zu Zeit immer Wieder vor - ich läg in einem großen Bassin. Lebend frisch! Und warte jetzt darauf, daß jemand beim Mittag- oder Abendessen mit so `nem ganz, ganz großen Netz kommt, mich aus dem Bassin herausfischt, und dann hör ich immer jemand sagen: „Die Forelle kommt an Tisch sieben.“ Nun werden Sie vielleicht sagen, jetzt esse ich schon kein Fleisch mehr, jetzt will der einem auch noch den Fisch madig machen. Nee, will ich gar nicht, haben schon andere gemacht. Nein, es ist, es geht auch gar nicht um mich, es geht auch gar nicht um mich dabei, es geht nur um dies spezielle Gefühl, das Sie sicher alle kennen, vermute ich doch sehr heftig. Denn, immer wenn ich unterwegs bin, dann muß ich, wie heißt es so schön, „draußen essen“, da muß ich manchmal sehr improvisieren, bei den Wirtschaften und Restaurants, die da am Wege liegen. Da sitze ich dann, studiere die Speisekarte, und dann komme ich immer unweigerlich an die Stelle, wo geschrieben steht: „Aus unserem Bassin - lebend frisch“, oder manchmal steht auch da: „Aus unserem Bassin – fangfrisch“. Und, manchmal sieht man ja auch noch das Bassin, wie die sich da drin rumtummeln, fisch, fromm, fröhlich, frei usw.
    Und dann denke ich immer: Eine von denen ist gleich dran. Nee, sage ich mir dann, also die Forelle möchtse heut mal nicht auf deinem Gewissen haben, obwohl, denke ich mir sofort hinterher, wenn ich die Forelle nicht esse - dann ißt se der nächste. Ist doch völlig Wurscht. Mit Wurscht und Fleisch ist es ja ähnlich, wissen Sie ja, nicht wahr. Dann sehe ich mir das Bassin an - alles lebend frisch - und sage, ne komm, kannst ja auch `ne Salatplatte essen oder `ne Gemüsegarnitur, ist ja auch leichte Kost. Und da ist ja auch schon alles nicht mehr am leben. Aber, sage ich mir dann wieder andererseits, so `ne Forelle hat ja eigentlich - soviel ich weiß - kein Bewußtsein und sicherlich auch kein gesellschaftliches Sein. Kannste vielleicht ruhig mal eine essen. Eine! Ja vielleicht aus philosophischen Gründen, der Kampf mit der Forelle.
     Der alte Mann und das Meer, haben Sie ja sicherlich gelesen. Oder sehen Sie mal, beim Stierkampf ist das ja ähnlich, da geht´s auch immer um Leben und Tod, nicht um den Stier. Was meinen Sie, Warum die Brüder damals alle dahin gefahren sind. Der Picasso und der Cocteau und der Hemingway usw., nur Wegen de Philosophie. Nicht wegen dem Stier, ne, ne. Der Stier war nur das Versuchskarnickel, ich mein, `n bißchen größer war er schon. Nun bin ich ja kein Stierkämpfer von Hause aus, ich bin ja nur ein kleiner Forellenliebhaber. So `ne Forelle, das muß man ja zugeben, kommt einem ja auch nicht so nah wie so `n Stier, wenn es darauf ankommt, letzten Endes. Sagen wir mal - nicht ganz so nah. Aber trotzdem, wenn sie dann so schön dekoriert auf meinem Teller liegt, wenn ich am Tisch sitze, da hab ich auch so `n philosophisches Gefühl, muß ich schon sagen. Oder wollen mal so sagen, das habe ich bei `nem Salatteller nicht. Ja, der Salat kann einen ja auch nicht angucken. Die Forelle schon - und wie! Hohoho. Wenn man dann am Tisch sitzt und vielleicht „Verzeihung“ sagt, oder sagen wir mal, „verzeihen Sie vielmals“, zu der Forelle, „verzeihen Sie vielmals“ und sich noch so `n Stückchen mit der Forelle unterhält, dann ist das die Metaphysik. Insofern hat die Forelle schon einen höheren Sinn für mich, und ich könnte ja auch ruhig mal eine essen, aus philosophischen Gründen, wie gesagt. Aber dann sehe ich wieder das Bassin, und dann denke ich sofort wieder an so französische Justizfilme von früher - wie hieß der eine berühmte - haben Sie auch bestimmt gesehen - Schwurgericht, wo die am Schluß immer so den Kragen abgeschnitten kriegen, kurz vor der Hinrichtung. Den Kragen, das Oberteil vom Kragen. Wahrscheinlich, damit das Fallbeil besser durch den Hals geht. Ja, damit sich das nicht verheddert. Das ist ja wie bei de Weltrekordschwimmer, die lassen sich ja, wenn sie Weltrekord schwimmen, vorher den Schädel rasieren, damit sie schneller oder besser durch die Wellen kommen. Ist im Prinzip das Gleiche, wenn man die Dinge zu Ende denkt, nicht. Die meisten Dinge sind dann im Prinzip gleich, kurz vor der Hinrichtung. Und dann, in dem Bassin - kein Pfarrer Weit und breit, ne, ne sage ich! Ne, ne, sage ich mir dann, das kannst du nicht, sowas kannst du dir nicht mehr leisten, und Wohl dem, sage ich dann immer, dem nix mehr dabei einfällt.



© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Meine Geschichten" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnungen stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.
Redaktion: Frank Becker