Vom guten Essen in guter Gesellschaft (1)

Lukullische Abschweifungen

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Vom guten Essen in guter Gesellschaft (1)
Lukullische Abschweifungen
 
Ein wenig von lukullischen Genüssen möchte ich Ihnen heute erzählen - alles mit einem Ziel: mit Ihnen zusammen zu genießen und Sie zu amüsieren, denn heute geht es darum, mit Freunden in angenehmen Gesprächen zusammen zu sein, zu essen, zu trinken und zu plaudern, denn wie hat schon der große Philosoph Immanuel Kant gesagt?:
„Allein zu essen ist für einen philosophischen Gelehrten ungesund“.
Apropos Immanuel Kant: der war ja ein recht eigenwilliger Kauz. Er war professioneller Billardspieler. Als Student hat er sich damit seinen Lebensunterhalt verdient, daß er mit einer Karambolage nach der anderen jungen Adligen ihr Geld abknöpfte. Dann wurde er Philosoph mit einer sehr sympathischen Eigenheit: er tafelte gerne, aber nicht allein. Seien wir doch mal zu Gast beim philosophischen Mahl Immanuel Kants im Kreise seiner Kollegen, die er jeden Mittag zu sich einlud, weil er ja, wie gesagt, allein zu essen für ungesund hielt. Es war natürlich weniger die Zeit feinster Zungengenüsse, Kant hielt mehr vom deftigen Reinhauen. Nehmen wir mal ein durchschnittliches Philosophenessen beim Immanuel:

es gab Suppe,
danach Aalgrün mit Dill,
als Zwischengang den berüchtigten astpraißischen Schnaps mit dem Scheibchen Leberwurst drauf,
dann kam Rinderschmorbraten,
Schnäpschen mit Leberwurst,
dann Stör mit diversen Gemüsen,
Schnaps mit Leberwurst,
Schinken, Käse und Räucherwurst,
wieder ein Schnäpschen mit Leberwurst,
schließlich Passha und Digestivs.
Begleitet wurde das Mahl von Cröver Nacktarsch und Rosenmuskateller, den ein Kollege aus dem Burgenland mitgebracht hatte. Rosenmuskateller war einer von Kants Lieblingsweinen.

Bei so einer Speisenfolge ist eines natürlich klar: ganz so hoch kann der Gedankenflug der Gespräche nicht mehr werden, wenn Dein Bauch Dich in den Sessel quetscht und der Rosenmuskateller Dir den Mund zuklebt.
Ich stelle mir das schon eher rustikal vor, wenn da z.B. Herr Emanuel Swedenborg, ein berühmter schwedischer Kollege unseres Philosophen, zu Gast war.
Kant: „Also, wie jesacht, verehrter Kollege Swedenborg, Jeschmack ist eine Kategorie, die, wie soll ich sagen..“
Swedenborg: „Aber, lieben Kollegen Kanten, öber Geschmöcken soll man nicht ströiten, Geschmöcken soll man genießen, smorrebrood, smorrebrood, rompompompom…“
Kant: „Na, na, lieber Swedenborg, Jeschmack ist eine rein jeistije Kategorie: Was jut ist, kann nicht jileichzai-tich schlacht sein! Dies wäre eine, wie heißt es jleich, contradictio in terminis, ein Terminwiderspruch, weil, wie jesacht, was jut ist, nicht schlacht sein kann. Jatzt nicht und später auch nicht! Noch ein Schluck Muskateller?“
Gut, nun hat allerdings unser Kant auch so philosophiert, wie er gegessen hat: kalorienreich und schwer verdaulich.
Das waren ja auch noch wirklich andere Zeiten damals.
 
Übrigens, wo Sie grad sagen: andere Zeiten. Wer möchte nicht mal Mäuschen spielen und gucken, was die Menschen in alten Zeiten so gegessen haben. Ich kann Ihnen sagen: es geht! Und zwar in manchen Fällen so, daß man fast hineinbeißen könnte.
Jedesmal z. B., wenn ich in einen Lebkuchen oder in eine Printe beiße, muß ich daran denken, daß ich jetzt genau daßelbe schmecke wie z.B. der kleine Tut-ench-Amun, als er am Fuße der Pyramiden im Sand spielte und an einem Honigkuchen knabberte oder der Heilige Laurentius, als er in Rom von den bösen, bösen Römern geröstet wurde und zwecks Rezeptveredelung an einer placenta mellita, einem Honigkuchen, knabbern mußte, Verzeihung, ich schweife ab! Nur: es ist tatsächlich wahr: am Rezept vom Honigkuchen hat sich im Wesentlichen seit ein paar Tausend Jahren nichts verändert. Woher wir das wissen? Tja, Herrschaften, einmal mehr vom alten Ägypter und das war so: 1913 wurde in Ägypten wieder mal ein Felsengrab entdeckt und geöffnet. Es entpuppte sich als Grab mit allen damaligen Schikanen: Sarkophag vom Feinsten, Grabbeigaben und Verzierung der Räumlichkeiten mit Malerei und Reliefs.
Als man sich das alles näher anguckte, kam heraus: das Grab stammt aus der 6. Dynastie, also aus der Zeit um 2300 vor Christus.
Das war übrigens die Zeit, in der die erste Volkszählung der Geschichte durchgeführt wurde: in China. Sie ergab, daß um 2255 v.Chr. etwas über 39 Millionen Chinesen lebten! Man sieht, der Chinese war damals schon gerne zahlreich! Kaum zu glauben, oder?!
Weiter kam heraus, daß der hier Begrabene etwas mit Brot und Kuchen zu tun gehabt haben muß, denn die Reliefs an den Wänden zeigen, wie man ein Brot bäckt. Außerdem gab es als Grabbeigaben vierzehn verschiedene Brotformen sowie – und ab da wird’s für uns interessant – zwanzig Kuchen in runden Kupferschalen. Diese Kupferschalen aber – und das ist nun wirklich der Hammer – waren so gut verschlossen, daß sie über 4000 Jahre lang praktisch luftdicht da herumlagen, quasi die erste Vakuumverpackung der Menschheit. Und in diesen Dosen waren – Honigkuchen! Bestens erhalten, wenn auch ohne Verfallsdatum. Die kleinen Kuchen waren rund, hatten einen Durchmesser von 11 cm und wogen 102 Gramm, das ergab die Analyse im „Musée du Pain Francais“, wohin die Kuchen nach der Ausgrabung kamen. Die genauere Analyse hat obendrein ergeben, daß in dem Honigkuchen dieselben Zutaten sind wie in unseren heutigen: aus Hartweizenmehl mit Honig gemacht! Weitere Untersuchungen haben dann ergeben, daß der Mann im Sarkophag, dem dies alles galt, Pepionkh der Mittlere war, der sicher ein wichtiger Mensch gewesen sein muß. Vielleicht war er der Ober-Printen-Bäcker vom Pharao (und Pepionkh wäre dann das ägyptische Wort für „Lambertz“!) oder er war Inhaber einer Süßwaren-Ladenkette, was weiß ich, ein altägyptischer Hieroglyphen-Hussel, egal:
seien wir dem alten Pepionkh dankbar für die Honigkuchen, die er mit ins Grab genommen hat und für die Erkenntnis, daß es doch noch Dinge gibt, die Bestand haben!
Das ist doch schon mal eine neckische Vorstellung, zu wissen, daß das heute noch so schmeckt wie vor 4000 Jahren!

Die Archäologen können noch weiter zurückgucken, wobei mich vor allen Dingen interessiert, wie die Dinge sich entwickelt haben. Vieles ist ja nicht so sehr durch Einfälle entstanden sondern durch Versuch und Irrtum.
Was meinen Sie, wie lange es gedauert hat und wie viele Opfer es gekostet hat, bis man wußte: aha, das ist ein Champignon, kann man essen, das aber ist ein Knollenblätterpilz, sollte man nicht essen bzw. kann man benutzen, wenn man endlich mal den Schwiegervater beerben möchte! Und dann noch mal ein paar Jahrtausende, bis man herausgefunden hat, daß man manche Pilze, die roh giftig sind, kochen muß, um sie essen zu können. Und wie viele Fallschirme man braucht, wenn man einen Fliegenpilz gegessen hat, da sind sie ja heute noch dran!
Da spielen natürlich auch Zufälle eine große Rolle, Zufälle, die zum Beispiel dazu führten, daß auf Sri Lanka die Elefanten entdeckten, daß Früchte, wenn sie zu lange am Baum bleiben bzw. am Boden herumliegen, zu gären anfangen - also alkoholisch.
Wir kennen ja alle die Bilder: torkelnde Elefanten, hackebreit! Aber was meinen Sie, wie sich der erste Elefant gefühlt hat, als er die Wirkung spürte! Und wie mag er das wohl seinen Rüsselgefährten mitgeteilt haben?
Das wird in der Steinzeit ähnlich gewesen sein und es hat, wie die Wissenschaft berichtet, Zehntausende von Jahren gedauert, bis man den Gärungsprozeß endlich unter Kontrolle hatte und vernünftigen Alkohol herstellen konnte.
Damals, also in der Steinzeit, aß man roh. Kochen mußte ja erst erfunden werden. Knollen, Früchte, Nüsse, Samen, Wurzeln, Schößlinge standen auf dem Speiseplan, also alles das, was wir heute hochgestochen makrobiotisch und voll biologisch nennen. Und ab und zu lief ein Reh vorbei, da hat dann der Steinzeitmensch hineingebissen: Rehrücken eben. Man lebte also gesund aber karg: das ist auch der Grund, daß man sich damals nicht fragte, wo denn die nächste Zwei-Sterne-Höhle ist.
Ich schweife ab. Zeitfenster, da waren wir dran: aus der Antike wissen wir schon ziemlich genau, was da gegessen wurde. Da gibt es Bücher über Bücher. Davon erzähle ich Ihnen am nächsten Dienstag an dieser Stelle.
 
In diesem Sinne
Ihr
Konrad Beikircher


©  2014 Konrad Beikircher für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker