Pralles Lesevergnügen

Evelyn Waugh – „ Schwarzes Unheil“

von Frank Becker

Rule Britannia
 
Wenn man dem Aberwitz einen Namen geben möchte, dürfte man es getrost mit Evelyn Waughs Roman „Schwarzes Unheil“ versuchen. Der ironischen Gesellschaftskritik von „Verfall und Untergang“ mit der Evelyn Waugh 1928 die britische Upper Class geißelte, setzte er vier Jahre später, 1932 in „Schwarzes Unheil (Black Mischief)“ eine ätzende Dosis Satire hinzu. Getroffen werden sollte abermals die blasierte Dekadenz der englischen Society sowie die Hybris des britischen Kolonialgedankens, der sich markant im „Rule Britannia“ ausdrückte. Heute wird dieses Lied im wesentlichen ja nur noch zur musikalischen Volksbelustigung als Zugabe zur Last Night of the Proms“ angestimmt – mit Papierhüten, Schnarren und Trillerpfeifen, was Waugh (1903-1966) freuen würde.
Evelyn Waugh vernichtet in seinem Roman jeden Respekt, sowohl vor den Nobilitäten der britischen Gesellschaft, wie auch jeden Ansatz der Anerkennung von (eben nur scheinbaren) Leistungen afrikanischer Völker in deren Bemühen, sich im Versuch einer „Zivilisierung“ den Vorbildern der europäischen Kolonialmächte anzugleichen. Daß Seth, der „Kaiser von Sakuyu, Herr von Wanda und Tyrann der Meere und B.A. der Universität Oxford“ auf der von ihm beherrschten Insel Azania, unterstützt von Menschenfressern und von einer desolaten Armee von Eingeborenen unter einem englischen Oberst trotz englischer Universitätsbildung nichts anderes als eben „nur ein Neger“ ist, macht seinen alten Studienfreund Basil Seal auf die Möglichkeit eines neuen Betätigungsfeldes aufmerksam. Dem möchte er in den fiktiven Inselstaat unter die Arme greifen, nicht ohne Eigennutz, versteht sich. Denn wer immer aus dem Mutterland in die Kolonien ging, hatte das Knistern von Pfundnoten im Ohr oder/und eine Horde Gläubiger im Nacken.
 
„Als Basil Seal am späten Nachmittag, auf dem Weg zu Lady Metroland, in seinen Klub ging, um dort einen ungedeckten Scheck einzulösen, las er die Nachrichten auf der „Imperial an Foreign“-Seite der Times.
Seit vier Tagen war Basil ununterbrochen auf Zechtour.
Vor einer Stunde war er auf dem Sofa einer ihm vollständig unbekannten Wohnung aufgewacht. Ein Grammophon spielte. Eine Dame, in einem Frisiermantel, saß in einem Sessel vor dem Gaskamin und aß mit einem Schuhlöffel Sardinen aus einer Dose. Ein unbekannter Mann in Hemdsärmeln rasierte sich. Den Spiegel hatte er auf den Kaminsims gestellt.
Der Mann hatte gesagt: „Jetzt, wo Sie wach sind, ist es am besten, Sie gehen.“
Die Frau: „Ich dachte wirklich, Sie wären tot.“
Basil: „Ich kann mir nicht vorstellen, warum ich hier bin.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, warum Sie nicht fortgehen.“
„Ist London nicht eine Hölle?“
„Hatte ich einen Hut?“
„Das war ja gerade das Unglück«
„Welches Unglück?“
„Ach, warum gehen Sie denn nicht?“
So War denn Basil die Treppe, die mit abgetretenem Linoleum belegt war, hinuntergegangen und aus der Seitentür eines Ladens in einer belebten Straße aufgetaucht, die sich als King's Road, Chelsea, herausstellte.
Solche Zwischenfälle geschahen ständig, wenn Basil auf Zechtour war.
Im Klub traf er ein sehr altes Mitglied, das mit Tee und Muffins am Kamin saß. Er öffnete die Times und setzte sich dazu.
„Haben Sie das über Azania gesehen?“
Erschreckt über die plötzliche Ansprache, fuhr das ältliche Mitglied hoch. „Nein nein... ich fürchte, das kann ich nicht behaupten.“
„Seth hat den Krieg gewonnen“
„Tatsächlich ... Nun, ehrlich gesagt, ich habe die Angelegenheit nicht sehr aufmerksam verfolgt“
„War aber sehr interessant.“
„Zweifellos.“
„Ich hätte nie gedacht, dass die Dinge sich gerade so entwickeln würden. Und Sie?“
„Ich kann nicht sagen, daß ich überhaupt darüber nachgedacht habe.“
„Nun, im Grunde ist es eine Entscheidung zwischen den Arabern und den christianisierten Sakuyu.“
„Ich verstehe.“
„Ich glaube, es war ein Fehler, das Ansehen der Dynastie zu unterschätzen.“
„Oh …“
 
Basil und alle möglichen anderen Profiteure drängen sich um Seth, Waugh erfindet dafür ein Personal, das alle Schattierungen von Rassisten, Intriganten, Beutelschneidern, Lügnern, vorgeblichen Damen, Hochstaplern und Möchtegerns inklusive des unverwüstlichen Herrn Youkoumian samt sämtlichen möglichen Vorurteilen und Klischees erfaßt – und im Grunde gar nicht erfunden werden mußte, denn es spiegelt erbarmungslos eben jene imperialistische Gesellschaft und ihre Appendices. Und weil´s am Schluß die Neger natürlich nicht schaffen, Ordnung in ihr Gemeinwesen zu bringen, besorgen das die bewährten Kolonialtruppen. „Schwarzes Unheil“ spendiert pralles Lesevergnügen und ist nichts für politisch korrekte Weicheier.
 
Evelyn Waugh – „ Schwarzes Unheil“
Roman - aus dem Englischen von Irmgard Andrae
© 2014 Diogenes Verlag, 300 Seiten, Broschur - ISBN 978-3-257-24276-8
9,90 €
 
Weitere Informationen: www.diogenes.ch