„Niemand zeugt für den Zeugen“

Zentrum für verfolgte Künste in Solingen nimmt am 1. Januar 2015 seine Arbeit auf

von Andreas Rehnolt

Am 1. Januar 2015 nimmt das Zentrum für verfolgte Künste
in Solingen den Betrieb auf
 
Zahlreiche Ausstellungsplanungen mit Bezug auf in der NS-Zeit
und später verfolge Künstler stehen auf dem Programm
 
Solingen - Am 1. Januar 2015 nimmt das Zentrum für verfolgte Künste im Kunstmuseum Solingen den Betrieb auf. Nach fünf Jahren zähen Verhandelns der Verwaltungen und Ministerien sowie klarer Entscheidungen des Stadtrates der bergischen Kommune sowie der beteiligen Landschaftsversammlung des Landschaftsverbandes Rheinland wird die Klingenstadt nunmehr das Projekt realisieren.
 
Seit 2008 werden im Kunstmuseum Solingen und in einem internationalen Netzwerk interessierter Personen und Institutionen kulturhistorische Projekte zum Zeitraum 1914 bis 1989 erarbeitet. Erstes Ergebnis ist die vom Bundestagspräsidium beschlossene Ausstellung des Deutschen Bundestages zum 70. Jahrestag nach den Ereignissen von 1945: Kunst- und Literatur als Dokumente zum Kriegsende und Befreiung der Menschen in den Konzentrationslagern. „Niemand zeugt für den Zeugen“ ist nach einem Gedicht Paul Celans die große Ausstellung im Abgeordnetenhaus des Deutschen Bundestages in Berlin überschrieben, die am 27. Januar 2015 in Berlin eröffnet wird.
Das Zentrum für verfolgte Künste konzipierte diese Ausstellung und kooperiert dabei mit den Gedenkstätten und Museen Yad Vashem in Jerusalem, Auschwitz – Birkenau in Polen und Theresienstadt in Tschechien. Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) ist dabei Medienpartner, der für die ARD eine Sendung zur Ausstellung vorbereitet. Von Berlin wandert die Ausstellung danach ins Felix Nußbaum-Museum nach Osnabrück. Als man in Polen von dieser Ausstellung erfuhr, hat man sich schnell entschlossen, sie ab dem 25. Juni 2015 im neuen großen Museum für zeitgenössische Kunst in Krakau zu zeigen, das für 100 Millionen Euro an die Fabrik Oskar Schindlers angebaut worden ist.
 
Israel möchte im Anschluß die Ausstellung nach Yad Vashem übernehmen und hat dem Zentrum für verfolgte Künste eine ständige Kooperation angeboten. Schirmherr dieser ersten Ausstellungsreihe des Zentrums für verfolgte Künste ist Bundestagspräsident Norbert Lammert. Er hat bereits das Kunstmuseum Solingen besucht. 2013 gab es die Ausstellung „Kunst in der Katastrophe“ im Abgeordnetenhaus des Deutschen Bundestages. Sie bestand einerseits aus Objekten der Literatursammlung Jürgen Serke, „Verbrannte und verbannte Dichter“, die Leihgabe der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft war und jetzt Eigentum der Bürgerstiftung im Kunstmuseum sind. Andererseits waren Bilder aus der Sammlung Gerhard Schneider zu sehen, die auch der Bürgerstiftung gehören.
Zur feierlichen Eröffnung des „Zentrums für verfolgte Künste“ im Frühjahr 2015 wird die Multimediaausstellung „Frauen im Holocaust“ aus Yad Vashem übernommen. Sie stellt Frauen vor, die auch in der Literatursammlung Serke vertreten sind. Diese Sammlung ist Teil der Dauerausstellungen des Museums. Weiter wird es in Solingen die erste Ausstellung der Originalzeichnungen Michel Kichkas für die Graphic Novel „Zweite Generation“ geben. Dieses Buch kommt zur Zeit in vielen Ländern, etwa in Israel, Frankreich und Deutschland auf den Markt. Es stellt einfühlsam und mit Hilfe des Humors die Erfahrungen eines Sohnes vor, dessen jüdische Eltern durch die Erlebnisse in den vierziger Jahren geprägt worden sind.
Während der Vorbereitungen für diese Ausstellungen wurde ein Kulturschatz gehoben, der im nächsten Jahr ebenfalls in Solingen ausgestellt wird. Dieser Kulturschatz befindet sich noch zum großen Teil in den USA. Dorthin hatte es das Ehepaar Isenburger geschafft. Sie waren der Verfolgung nach dem Reichstagsbrand nach Frankreich entkommen und hatten dort ihre Karriere fortgesetzt: Er international als erfolgreicher Künstler, seine Frau als gefragte Solotänzerin zu klassischer Musik. Nach der Besetzung Frankreichs waren beide interniert worden, aber Freunde verhalfen Ihnen zur Flucht und zur Schiffspassage in die USA.
Das Zentrum wird im späten Frühjahr 2015 erstmalig Gemälde von Erich Isenburger zeigen, die zuletzt im Januar 1933 in der Galerie des Kunstsammlers und Galeristen Gurlitt in Berlin zu sehen waren. „It don‘t mean a thing if it ain’t got that swing“ wird der Titel der Ausstellung sein. Das Duke Ellington Orchestra nahm 1932 dieses Jazzstück auf und Eric Isenburger hörte es in Berlin ständig, um den Rhythmus in seine Bilder aufzunehmen. Das Zentrum schickt die Ausstellung dann weiter zu den Festspielen nach Bayreuth. Hier wird damit dann das Kunstmuseum Solingen nach 2009 und 2011 das dritte Mal zu einer Festspielzeit zu Gast sein.
 
Im Herbst nächsten Jahres wird einer der großen Künstler der DDR Thema in Solingen sein: Joachim Böttcher, genannt „Strawalde“. Damals wurden die Ausstellungen und der Verkauf seiner Bilder verboten. Daraufhin ging er an die Filmhochschule im Osten Berlins und erhielt internationale Preise für seine Filme, die er größtenteils in der DDR ebenfalls nicht zeigen durfte. Seine Freunde unterstützten ihn: Jurek Becker, dessen Porträt das Kunstmuseum kürzlich, durch Spenden finanziert, ankaufen konnte. Für 2016 bereitet das Zentrum erst einmal ein Ausstellungsbuch für eine in den USA wiederentdeckte Kunstsammlung aus dem Bergischen Land vor, die seit 1938 verschollen war.