Der Spatz in der Hand oder die Taube auf dem Dach?

„Boom She Boom“ im Frankfurter MMK2

von Christian Sabisch

Foto: MMK2

Der Spatz in der Hand oder die Taube auf dem Dach?
 
Unter dem Titel „Boom She Boom“ eröffnet das Frankfurter Museum für modern Kunst
eine zweite Niederlassung - und entläßt die öffentliche Hand aus der Verantwortung.
 
 Von Christian Sabisch

Manches zeitliche Aufeinandertreffen ist erhellender als wortreiche Erklärungen. Am Freitag, dem 18. Oktober feierte in Anwesenheit von Bundespräsident Joachim Gauck die Goethe Universität in der Frankfurter Paulskirche mit einem feierlichen Festakt ihre Gründung vor 100 Jahren. Diese Neugründung ging zurück auf rein bürgerschaftliches Engagement, denn den Grundstock von 20 Millionen Goldmark spendeten zumeist jüdische Familien der Stadt; auch aus dem Ausland kam Geld, um eine Universität zu ermöglichen, die - so der Gründungsanspruch - sich frei von kirchlichen oder konfessionellen Bindungen vor allem mit den neuen Herausforderungen der Gesellschaft des beginnenden 20. Jahrhunderts befassen sollte. Nach dem 2. Weltkrieg ging die Stiftungsuniversität in die Förderung durch die öffentliche Hand über. Damit begann die wirkliche Glanzzeit; anknüpfend an die Erfolge vor 1933 wurde die „Frankfurter Schule“ prägend nicht nur für das Denken und Handeln in der Bundesrepublik, sondern für den gesellschaftlichen Diskurs über alle Ländergrenzen und Blöcke hinweg.
            Am Abend des 18. Oktober, nur wenige Minuten Fußweg von der Paulskirche entfernt, fand ein anderes Ereignis statt: Die Eröffnung der zweiten Niederlassung des Frankfurter Museums für moderne Kunst (MMK). In der zweite Etage eines neu errichteten Büroturms an der Taunusanlage feierten die Geldgeber, die das MMK2 ermöglicht hatten, sich und ihren Erfolg: Auf 1.750m² zeigt das Museum - zunächst auf 15 Jahre gesichert - Arbeiten aus eigenem Bestand. Das besondere daran: Auf das Museum und somit auf die Stadt Frankfurt kommen keine zusätzlichen Kosten zu. Der amerikanische Investor, der das Ensemble aus Büro- und Wohnturm mitten im Bankenviertel errichtet hat, stellt die Fläche zur Verfügung, ohne Miet- oder Nebenkosten in Rechnung zu stellen. Und erfüllt damit Forderungen von Planungsdezernent Olaf Cunitz, der in Neubauhochhäuser generell auch eine „urbane“ Erschließung von öffentlichem Raum schaffen will, sei es durch ein Restaurant oder eben ein Museum.
            Auch für den laufenden Unterhalt hat das Museum private Quellen angezapft: BMW-Großaktionär Stefan Quandt, ein private Stiftung und zwei Großbanken übernehmen die Kosten für Personal, Versicherungen, Strom, Unterhalt und Programm. Bei so viel bürgerschaftlichem Engagement gerät Museumsdirektorin Susanne Gaensheimer ins Schwärmen über diese „innovative Lösung“ und orakelt: „Wir befinden uns in Deutschland gerade in einer Phase des Umbruchs, in der sich die Vorzeichen der Kulturförderung radikal verändern.“ Mit anderen Worten: Auf die öffentliche Hand ist kein Verlaß mehr, wir müssen uns wieder auf die Zuwendung von Privatleuten verlassen - und die Beziehung zu diesen „choosen few“ hegen und pflegen, wie sich bei der exklusiven Eröffnung des MMK2 genannten Ausstellungsraums zeigte. Eine Feier für das allgemeine Publikum gab es nicht, stattdessen freier Eintritt am darauffolgenden Sonntag.
 
            Keine Frage: Schon die Präsentation in der ehemaligen - und inzwischen abgerissenen - Degussa-Verwaltung vor drei Jahren anläßlich des 20jährigen Bestehens des Museums hatte deutlich gemacht, welche Schätze zeitgenössischer Kunst in den Depots des Museums schlummern. Und natürlich hat Susanne Gaensheimer recht, wenn sie behauptet, daß das von Hans Hollein errichtete Haupthaus, das sogenannte Tortenstück, an der Domstraße mittlerweile viel zu klein ist, um regelmäßig den Bestand, der wiederum dank privater Fördermittel ständig erweitert wird, im Wechsel zeigen zu können. „Ein Museumsneubau für mehrere Zehnmillionen Euro wäre im Moment nicht denkbar gewesen“, begründet Susanne Gaensheimer ihre Hinwendung von öffentlicher zu privater Förderung. „Und das ist nicht nur in Frankfurt der Fall, wir kennen das auch aus vielen anderen europäischen Städten.“ Die bislang mit neidvollem Blick auf die Kulturförderung in Deutschland schauten, möchte man ergänzen.
            Doch die Zeiten ändern sich: Die Verarmung von Kommunen, knapper werdende Mittel der Länder - der tägliche Blick in die Zeitung lehrt uns, daß die Möglichkeiten, die über Jahrzehnte als gesichert galten, zugunsten einer kolossalen Umverteilung der Reichtümer und einer stagnierender Mittelschicht längst Geschichte sind. Man lese nur die Sachbuchtitel der Bestsellerliste im Spiegel, um zu begreifen, welcher Wandel sich gar nicht mehr so schleichend vollzieht und scheinbar nicht mehr zu revidieren ist.
            Wenn sich also die Mitteln aus der öffentlichen in die private Hand verlagern, dann scheint es nur folgerichtig, so die Argumentation, sich dort hin zu wenden, wo die Mittel vorhanden sind, also jenseits demokratischer Kontrollmechanismen und Legitimation; welches Mitglied im städtischen Kulturausschuß wollte den vertraglichen Vereinbarungen, auf deren Einsicht kein Außenstehender Anspruch hat, in öffentlicher oder in geheimer Sitzung widersprechen, geht es doch schließlich darum, einer städtischen Institution reiche Pfründe zu erschließen. Die Macht des Faktischen. Wer dagegen die Stimme erhebt, hat schon verloren, bevor sein Wort verhallt. Noch ist in Frankfurt kein Konflikt ruchbar geworden, in dem sich künstlerische Position und private Förderung unvereinbar gegenüber stehen; schließlich hat das Museum etwa keine Arbeit des in New York lebenden deutschen Konzeptkünstlers Hans Haacke in seinem Bestand, der offen und zuweilen aggressiv gegen mögliche und tatsächliche Sponsoren in seinen Werken vorgeht und die Macht des privaten Geldes anprangert, die Deutsche Bank etwa, die ebenfalls zu den Förderern des MMK gehört. Möglich, daß die Museumsleitung geschickt genug agiert, um derartige Konflikte erst gar nicht aufkommen zu lassen.
 

Sturtevant / Vanessa Beecroft - Foto: MMK2

            Sicher, MMK2 kann sich sehen lassen. In ein fertig geplantes Bürogebäude im Rohbau einen musealen Raum zu implementieren, war keine leichte Aufgabe, die aber leider auch nur zum Teil gelungen ist. Dazu trägt zum einen die gedrungene Geschoßhöhe von 3,90 m bei. Eine abgehängte Decke hätte die Präsentationsmöglichkeiten noch mehr eingeschränkt; so wurden Sicherheits- und Belüftungstechnik in die seitlichen Wände verlagert. Das Raster aus Leuchtmitteln an der grauen Betondecke ist zwar nicht schön anzusehen, aber nach der anfänglichen Irritation gewöhnt man sich schnell an die kompakt wirkende Raumhöhe und das Deckenraster. Schließlich lenken die Kunstwerke den Blick des Betrachters auf sich, gleich im Eingang etwa das poppige Blumengemälde „Warhols Flowers“ der amerikanischen Imitationskünstlerin Sturtevant oder mehr noch der Videofilm der Italienerin Vanessa Beecroft, die mit grobkörnigem Filmmaterial quasi einen Schleier über die entblößten Körper jener Frauen legt, die in ihrer Performance 2010 im MMK mitwirkten. Der Film, das wird nach wenigen Sequenzen deutlich, will nicht die damalige Performance dokumentieren, sondern bildet eine eigenständige Erforschung des weiblichen Körpers.


                   Vanessa Beecroft - Foto: MMK2
 
            Die Eröffnungspräsentation ist ausschließlich Werken von Künstlerinnen vorbehalten. Und schon in den ersten Vorankündigungen wurde deutlich: Man darf sich auf ein Wiedersehen mit Katharina Fritschs „Tischgesellschaft“ von 1988 freuen. 32 identische männliche Figuren sitzen zu beiden Seiten einer langen Tafel in autistischer Verschwiegenheit; von geselligem Beisammensein keine Spur. In der Sammlung des MMK wie auch in dieser Präsentation sind sämtliche künstlerischen Ausdrucksformen vertreten, vom schlichten Text über Malerei, Skulptur, Performance, Klang-Installation bis zur Fotografie. Wie aus einer längst vergangenen Zeit wirken Barbara Klemms 17 Ablichtungen aus China aus dem Jahr 1985. Ebenfalls in schwarz-weiß arbeitete die unlängst in Afghanistan ermordete Fotografin Anja Niedringhaus. Ihre Aufnahmen, die abseits ihrer Tätigkeit als „embedded journalist“ bei den amerikanischen ISAF-Truppen entstanden, erzählen Geschichten, die unter die Haut gehen: Verlust, Trauer, blinde Wund, Resignation, unfaßbares Elend.
 

          ISAF,  Anja Niedringhaus - Foto: MMK2
         
           
Eigens für das MMK2 gab die Museumsleitung bei Tamara Grcic eine Arbeit in Auftrag. Auf einer groben Holzplatte plazierte sie eine Gruppe von aufgeschnitten, mundgeblasenen Glaszylindern. Die Angst, sich an den offenen Bruchstellen in Thekenhöhe zu schneiden, hält die Betrachter respektvoll auf Distanz und steht in harschem Kontrast zu der Ecksituation mit Fensterblick auf die parkartige Taunusanlage. Unter der Bodenplatte sind Lautsprecher installiert, die von einer Stimme die unendlichen vielen Ziffern der Zahl „Pi“ aufsagen lassen. Daneben erklingen Zahlen von öffentlichen Versteigerungen. Ein während der Ausstellung fortlaufendes Projekt betreibt Eva Kotatkova aus Tschechien. Sie hat Gespräche mit 13 Schülern einer Frankfurter Förderschule für Hörgeschädigte aufgenommen. Darin schildern die Jugendlichen ihre Körper als Musikinstrumente. Die Bildhauerin formt diese Ansätze in dreidimensionale Objekte, die mal an einen Spielplatz oder mal an ein Tonstudio vergangener Analogzeiten erinnern. Aus der zweiten Dimension zur Skulptur erhebt Franziska Kneidl besprühte Folien, die sie über Ringe in Falten legt und von der Decke herab wallen läßt. Die Farborgien, die sich zuvor auf den ausgebreiteten Folien abgespielt haben müssen, kann der Zuschauer nur noch schmunzelnd erahnen.
 

Katharina Frisch, Tischgesellschaft - Foto: MMK2

            „Boom She Boom“ hat das Museum diesen ersten Auftritt an der Taunusanlage genannt, der in etwa sechs bis acht Monaten einer neuen Präsentation weichen soll. Auch nach dem Rundgang wird nicht ganz klar, was der Titel eigentlich bezweckt: die verführerische Weiblichkeit des vormaligen Popsongs betonen oder eher die lautmalerische Imitation einer Bombenexplosion? Wie auch immer: Positionen von Künstlerinnen waren in der MMK-Sammlung schon immer stark vertreten, auch dies belegt die Schau. Als einer der jüngsten Zugänge ist die Installation „Aus der Pranke den Löwen“ der Städelschul-Absolventin Anne Imhof von 2012 aufgebaut. Aber auch ältere Künstlerinnen sind gut vertreten, etwa Hanne Darboven mit dem Film „Vierjahreszeiten. Der Mond ist aufgegangen, Akt I und II“ aus dem Jahr 1982/83. Rosemarie Trockel ist ein eigener Bereich mit einer raumgreifenden Installationen aus mehreren Werken gewidmet, dazu gehören die zwei Strickbilder „Bitte tu mir nichts - Aber schnell“ und „Ohne Titel - What-if-Could-be“, die über einem im Siebdruckverfahren auf die Wand gedrucktem Strickmuster hängen.
 
            Ein weiterer Effekt dieser neuen Ausstellungsetage im Büroturm: Das Haupthaus, das „Tortenstück“ von Hans Hollein, konnte in den vergangenen Wochen einer wirklich gelungenen Neuhängung unterzogen werden und damit beweisen, daß auch nach knapp einem Vierteljahrhundert die Räume außerordentlich geeignet sind für wahrhafte Meisterwerke der zeitgenössischen Kunst.
 
Die Ausstellung ist bis zum 14. Juni 2015 zu sehen. Weitere Informationen: mmk-frankfurt.de
 
© Christian Sabisch